Pilze – eine Ausstellung im Sinclair Haus

Takashi Homma, Scandinavia #13, 2011, Fotografie, aus der Serie Symphony –Mushrooms from the Forest, © Takashi Homma

Sie musizieren, sie pflegen Beziehungen, sie sind die Großmeister des Recycelns, sie sind Ingenieure, sie dienen Horror-Filmregisseuren als Inspiration und gut – sie töten auch. Sie sind überall, so schön wie Glasblumen, und wenn man ein ordentliches Bier, einen Käse, ein Brot haben will, dann sind sie unverzichtbar. Und sie haben ein eigenes Reich, das sich in unterschiedlichsten Formen über die gesamte Welt spannt. Das kann wohl keiner von sich behaupten.
Das dürften Gründe genug sein, Pilzen eine eigene Ausstellung zu widmen, wie es die Stiftung Kunst und Natur in Bad Homburg jetzt im Museum Sinclair-Haus tut. Dabei pflegt sie wie üblich eine enge Verknüpfung von Kunst und Wissenschaft, zeigt die künstlerische Annäherung und Interpretation, ja auch Inszenierung von Natur und natürlichen Prozessen. Da kommen Künstler-/Wissenschaftler*innen zu Wort, wie die Biotechnologin Vera Meyer alias V.meer, die kleine Öko-Skulpturen geschaffen hat, die wie erstarrte Blumen aussehen, oder sie offenbaren ihre Pilz-Liebe wie der Chilene Rodrigo Arteaga, dem ein ganzer Raum für seine Installation gewidmet ist – da wachsen schon mal eine kleine Pilzkolonie aus dem Parkett, Baumpilze aus der Wand. Von einer rätselhaften Schönheit auch das Video von Wim van Egmond »Life on Bread«. Was wie ein zarter Wald aus Glasblumen aussieht, ist tatsächlich der Schimmelbefall auf einem Käsebrot – in digital gestapelten Bildern vollzieht der Film den Prozess quasi rückwärts nach.
In fünf Kapiteln erzählen die Kurator*innen Kathrin Meyer und Moritz Ohlig von der Annäherung an die ungeheure Vielfältigkeit des Lebewesens Pilz, das sein richtiges Leben unterhalb der Sichtbarkeit führt. Was die Oberfläche preisgibt, ist lediglich der Fruchtkörper, darunter lagern ungeheure Pilzgeflechte, Myzelien und Mykorrhiza-Verbindungen, das größte bekannte misst mehrere Quadratkilometer und gehört zu einem Hallimasch in Oregon. Pilze leben in symbiotischen Gemeinschaften mit über 90 Prozent aller Pflanzen, da sie selbst keinen Kohlenstoff produzieren. Sie bekommen Zucker und Lipide und geben dafür Wasser und Stickstoff. Und sie sind die ersten, die auf verheerter Erde entstehen, wie die Computeranimation »Mycorrhizal Fungi« von May Kindred-Boothby, und – nicht nur als Gimmick gedacht – das Computerspiel »Hypha« von Juan Ferrer und Natalia Cabrera verraten.
»In die Pilze« geht ein weiterer Raum, als Eyecatcher ist die pop-bunte Porträtserie von Phyllis Mas »Mushrooms and friends« platziert, Takashi Homma zeigt Aufnahmen von Pilzen aus radioaktiv verseuchten Gegenden wie Fukushima und Tschernobyl, »Terraformers« ist eine Barbie-pinke Plastik von Irena Posner, die ein wenig die psychedelische Wirkung von Pilzdrogen auf die Schuppe nehmen will – ein Pfad, den die Ausstellung bewusst nicht verfolgen will, weil er einfach schon viel zu ausgetreten sei.
»Wie leben Pilze« erforscht einer der attraktivsten und auch überraschendsten Säle inklusive bespieltem Flur, und ein Blick in die Zukunft wird auch geworfen: eignen sich Pilze und deren Derivate als Baustoff? Die Antwort dürfte man ziemlich schnell erraten …
Das Ausstellungskonzept balanciert auf dem assoziativen Gelände von wissenschaftlicher Erkenntnis und deren ästhetischer Vermittlung und künstlerischen Aneignung. Und da gibt es viel zu entdecken, durchaus auch überraschend Amüsantes, ein bisschen Ekliges, ein sprechender Fliegenpilz (natürlich aus England) und auch »richtige« Musik von diesem erstaunlichen Erdenbewohner.

Susanne Asal
Foto: Phyllis Ma, Chlorophylum rhacodes and Ramaria, 2020, Fotografie, aus der Serie Mushrooms and Friends, © Phyllis Ma
Bis 9. Februar: Di.–Fr., 14–19 Uhr; Sa., So., Feiertage, 10–18 Uhr
www.museum-sinclair-haus.de

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