Radiozeiten: »Die große Kulturmaschine Funk«

Im Begriffskonzept des Wortes »Rundfunk« glüht noch jener Funke, findet Stephan Krass, den Prometheus einst den Göttern entwendete, um den Menschen Feuer zu bringen … »seitdem glimmt und glüht, blitzt, leuchtet und köchelt es an allen Ecken und Enden … von Schillers Ode ›Freude schöner Götterfunke‹ bis zu dem von Hans Bredow 1919 geprägten Begriff Rundfunk – überall fliegen die Funken«, schreibt er in seinem lesenswerten Essayband »Radiozeiten: Vom Ätherspuk zum Podcast«. Krass war Hörfunk-Redakteur beim SWR in Baden-Baden, hat selbst Hörspiele geschrieben. Sein Herzblut-Buch ist eine Art Sendersuchlauf auf der Skala der Zeit, ist ein blendend geschriebener Wellenritt durch einhundert Jahre Radio, dessen Geburtsurkunde in Deutschland auf den 29. Oktober 1923 datiert ist.
»Verehrte An- und Abwesende!«, begann Albert Einstein seine Ansprache bei der 7. Deutschen Funkausstellung 1930, brachte damit das Radio-Paradox für alle, die ihn hörten, auf eine eingängige Formel. Das Radio macht sein Personal unsichtbar, es ist eine ständige Herausforderung an unser Abstraktionsvermögen. »Kann das sein, dass eine Musik erklingt, ohne dass jemand spielt?«, hieß es 1924 schon im ersten übertragenen Hörspiel »Zauberei auf dem Sender«. Vom ersten live übertragenen Fußballspiel (am 1.11.1925, SC Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld), den ersten großen Radioreportagen, den hoffnungsvollen Anfängen in der Weimarer Republik, dem Radio als »universalem Maul des Führers« (Horkheimer/ Adorno), Radio-Sternstunden mit Gottfried Benn, Bert Brecht, Walter Benjamin, Max Frisch, Radio Eriwan bis zu Werner Höfer, dem Pausenzeichen, Dr. Murkes gesammeltem Schweigen und Piratenradios bis zum heutigen Podcast reicht das Spektrum dieser Kulturgeschichte. Erzählt und komprimiert von einem, der dabei war. »Die große Kulturmaschine Funk«, nannte Alfred Andersch das Radio. »Tiefste Nacht: ›Ma sehn, was wir im Radio kriegen?‹: der rote Balken strich langsam die Skala«, hieß es 1954 bei Arno Schmidt in »Das steinerne Herz«.
Meine schönste eigene Radiogeschichte: ein Briefumschlag voll schmaler Tonband-Schnipsel, den mir Karsten Witte einmal mit einem verschmitzten Lächeln schenkte. Er kam gerade vom HR, hatte dort Alexander Kluge interviewt. »Das sind seine ›Ähs‹, die wir herausschneiden mussten«, sagte er.

Alf Mayer / Foto: © Nils Meurad
Stephan Krass: Radiozeiten: Vom Ätherspuk zum Podcast. Reihe zu Klampen Essays, herausgegeben von Anne Hamilton, zu Klampen Verlag, Springe 2022. Hardcover, 256 Seiten, 24 €.

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