Die schöne, die lehrreiche Ausstellung »Sand. Ressource Leben Sehnsucht« im Sinclair Haus in Bad Homburg
Es ist vermutlich das kleinste Ausstellungsstück, das jemals im Sinclair Haus zu sehen war, und es ist unendlich schön. Ein Sandkorn! Es strahlt orangerosa mit bernsteinfarbenen Einsprengseln, und dass wir es seine Schönheit betrachtend würdigen können, ermöglicht uns eine halbrund geformte Lupe des deutsch-israelischen Künstlers Micha Ulman, die über dieser Winzigkeit ruht. Es ist ein Sandkorn von den Stränden Israels, das ihn mit seinem Vater verbindet, der dort Bauer werden wollte. Und es enthält die ganze Welt.
Was sich alles aus dieser Welt bauen, machen, was sich damit assoziieren lässt, das untersucht die aktuelle Ausstellung »Sand: Ressource Leben Sehnsucht« der Stiftung Kunst und Natur im Sinclair Haus aus den verschiedensten Blickwinkeln. Den Beginn des Ausstellungsrundgangs markiert indes nicht das Sandkorn, sondern es sind die Vorstellungen, die sich im Allgemeinen zuallererst ergeben: Spielplatz, Sandplatz. Genau! So einen hat Laurent Mareschal in einer Videoinstallation »The Castle« aufgenommen, und was sich hinter diesem Spielplatz am Sandstrand verbirgt, ist auch so eine Welt: es sind Kinder einer 5.Klasse einer jüdisch arabischen Schule, die hier miteinander Burgen und Wassergräben bauen. Urlaubswelten dagegen porträtiert Irnaeus Herok mit seinem großformatigen Foto »Bondi Beach, Australia«: weißer Sand endlos, viele Menschen drauf, viele Strandtücher drauf. Sandparadies? Sommersehnsuchtsort?
Den irrwitzigen Versuch, Schöpfung zu spielen, dem Meer Land abzugewinnen und Sand zu künstlichen Insellandschaften für Reiche zu aufzuschütten, verfolgten Andreas Gursky und der Umweltaktivist Yann Arthus Bertrand in ihren Projekten »Dubai World III« und »Dubai, Archipel Artificiel«.
Ganz wunderschön und in ihrer Vielfalt und Aussagekraft berückend sind die zahlreichen Aufnahmen, mit denen der algerische, mittlerweile in Frankfurt lebende Fotograf Ferhat Bouda einen ganzen Raum ausgestattet hat. Selbst einer Berberfamilie entstammend, beschäftigten ihn die Lebenskulturen der nomadisch Lebenden in den Wüstenlandschaften, sei es in Ägypten, dem Tschad, in Niger oder der Mongolei. Es sind quasi-dokumentarische Miniaturen entstanden, die jeweils für sich eine ganze Geschichte erzählen, vom Spielen, von der Arbeit, vom Zusammenleben mit den Tieren, vom Leben mit Sandstürmen. Sie erzählen aber auch von den Unabhängigkeitskämpfen der Tuareg im Norden von Mali.
Der Raubbau an der Natur, die Vernichtung von Ressourcen, die Halb-Idiotie von hybriden Bauprojekten, die Zerstörung von ehemals florierenden Ökosystemen durch Menschenhand sind Themen, die das Ideen-Spektrum gleichberechtigt umfasst, ebenso wie die Lehren, die die Sand-Recherche des Kurators Moritz Ohlig ergeben hat: immerhin 18 Kilo Sand verbraucht der Mensch pro Tag, er wandert in Häuser, Straßen, Brillengläser…..Die Absicht, Natur über die Mittel der Kunst erfahrbar machen, schillert hier wahrlich multiperspektivisch auf.
Zur Ausstellung wurde ein umfangreiches Begleitprogramm entwickelt, wozu Führungen, Künstlergespräche, Lesungen, Konzerte und Schreibworkshops gehören.