Remake. Frankfurter Frauen Film Tage

Das Kino, so eine Befürchtung, droht im Zeitalter des Internets langsam zu verschwinden, und damit auch ein traditioneller Ort eines Gemeinschaftserlebnisses. Dies gilt erst recht nach den zwangsweisen Kinoschließungen in der Coronazeit. Doch selbst wenn Gabi Babic, eine der Ausrichterinnen der Remake-Frauenfilmtage, diese Befürchtung äußert, beweist doch gerade die Existenz dieses quicklebendigen Festivals, dass die Lichtspiele in all ihrer Vielfältigkeit nach wie vor ihr interessiertes Publikum finden.

Zum vierten Mal seit seiner Gründung 2018 präsentiert »Remake« eine sorgfältig kuratierte Auswahl aus wiederentdeckten alten und brandneuen Filmen von und über Frauen. Wie gehabt ist das Festival eine Leistungsschau weiblichen Filmschaffens mit einer von der Gegenwart bis zum Beginn der Filmgeschichte zurückreichenden Bandbreite. Mit 60 Kurz-, Mittel- und Langfilmen, aufgeführt an unterschiedlichen Frankfurter Orten, begleitet von Gesprächen, einer Ausstellung, Abschlussparty und einem Filmkonzert, bieten die Filmtage ungewohnte Perspektiven auf weibliche Lebenswelten wie auch auf die Bedingungen des Filmemachens selbst.
Nachdem in den vergangenen Jahren Frauenwahlrecht, »HerStory« und prekäre Arbeitsverhältnisse im Fokus standen, lautet das Motto der vierten Festival-Ausgabe »Gemeinsam…! Nähe, Verantwortung und Solidarität«. Programmschwerpunkt sind Filme über Fraueninitiativen, Selbstorganisation und queer-feministische Kollektive. Vorgestellt wird u.a. der brasilianische Film »Mato seco em chamas« (2022), gedreht in einer dystopisch anmutenden Favela mit Laiendarstellerinnen, die sich selbst spielen. Zwischen Dokumentation und Fiktion handelt der Film von einer Gruppe weiblicher Outlaws, den ›gasolinheiras‹, die einen illegalen Sprithandel betreiben. »Vece od traume – Jenseits des Traumas« (2022) schildert den Heilungsweg einer Gruppe bosnischer Frauen, die einst als Zeuginnen bei einem Sondertribunal zur Aufklärung sexueller Gewalt im Kroatienkrieg aussagten. »Tobacco Embers« (1982) dokumentiert eine der größten indischen Arbeiterbewegungen der achtziger Jahre, in der auch Arbeiterinnen einer Tabakfabrik erstmals ihre Stimme erhoben. In »My Survival as an Aboriginal« (1978) erzählt die Aktivistin und Regisseurin Essie Coffey vom Leben in einem Township in Australien.
Wie gehabt wird auch in diesem Jahr eine Autorenfilmerin vorgestellt: eine ›local heroine‹, die 1937 geborene Frankfurterin Edith Marcello, die seit den 60iger Jahren Filme drehte und sich besonders sozialen Bewegungen widmete. Das Oeuvre der Dokumentaristin umfasst Filme über die Situation von Migranten, etwa »Die Kinder der Gastarbeiter – Bericht über eine Minderheit« (1970), ZDF-Reportagen wie »Wir Frauen sind unbezahlbar – Zur Diskussion um Lohn für Hausarbeit« (1979) bis hin zu »Das Land, das wir uns nehmen« (1982) über eine italienische Landkooperative. Neben acht Filmen von Marcello sind drei Filme von Elfi Mikesch, einer weiteren preisgekrönten Filmemacherin, im Programm.
Mit einer Handvoll Kurzfilmen von Jan Oxenberg und Barbara Hammer – u.a. Oxenbergs »A Comedy in Six Unnatural Acts« (1975), die erste lesbische Komödie und Hammers »Sisters« (1976), ein euphorisches Zeitdokument der Gay Liberation – werden zwei Pionierinnen des Queer-Cinema gewürdigt. Mit diesen Epoche machenden Undergroundfilmen kommt eine weitere Wegbereiterin feministischen Filmschaffens ins Spiel: Hildegard Westbeld, die mit CHAOS Film in Berlin den ersten und bis vor kurzem einzigen deutschen, auf Filmen von Frauen spezialisierten, Verleih gründete. Obzwar kurzlebig, trug der von Anfang 1979 bis Ende 1980 existierende Verleih entscheidend zur Entwicklung einer feministischen Filmkultur bei. Westbeld hat 2023 ihr Papierarchiv der Kinothek Asta Nielsen übergeben. Eine Ausstellung wird einen ersten Einblick in diesen Vorlass geben.
Denn das ist die Mission der Kinothek Asta Nielsen e.V., die das Festival ausrichtet: die Wiederentdeckung und Sichtbarmachung weiblicher Filmarbeit. Das Frauenfilmarchiv, eine bundesweit einzigartige Institution, wurde 1999 von den Filmwissenschaftlerinnen Heide Schlüpmann und Karola Gramman gegründet, 2018 ist Gabi Babic hinzugekommen. Mit weiteren cinephilen Helferinnen betreibt das Team Filmarchäologie, stöbert in Archiven und sammelt Cinemabilia. Es sorgt auch dafür, dass wiedergefundene Zelluloid-Kopien restauriert und im Originalformat im Kino zu sehen sind, veranstaltet Werkschauen und Workshops. Mit dem Remake-Festival soll vergangenes und gegenwärtiges Kino kurzgeschlossen werden, denn »alte Filme sind ja nicht einfach alt, sondern durch sie wird Vergangenes als Bestandteil der Gegenwart erfahrbar«, so die Kuratorinnen.
Die Verwerfungen der Gegenwart werden etwa im neuen Dokumentarfilm »My ne zgasnemo/We will not fade away« über das Aufwachsen von Jugendlichen im umkämpften Donbass in der Ukraine sichtbar. Neu ist auch »Orlando, ma biographie politique«, ein Filmessai des spanischen Philosophen und Transaktivisten Paul B. Preciado über Virginia Woolfs Roman »Orlando«. Als deutsche Kinopremiere läuft auf dem Festival außerdem Kelly Reichardts neue Künstler-Komödie »Showing Up« mit Michelle Williams.
Für Filmaficionados besonders spannend dürften die Aufführungen von aus dem Archiv geborgenen Stummfilmen sowie Super-8-Amateurfilmen sein, die einen intimen Blick in bundesrepublikanische Lebenswelten gewähren. Krönung des Festivals ist, wie gehabt, ein Cineconcert, die Welturaufführung eines restaurierten Stummfilmes in der Volksbühne Frankfurt im Großen Hirschgraben: der schwedische Film »Norrtullsligan/Weibliche Junggesellen« (1923) handelt von einer damals exotischen Spezies, außerhäusig arbeitenden jungen Frauen. Vier Sekretärinnen in einer Stockholmer WG durchleben gemeinsam Liebes- und Arbeitsprobleme und rufen schließlich zum Streik auf. Live begleitet wird der Stummfilm von der Musik der niederländischen Stummfilmkomponistin und -pianistin Maud Nelissen in einem gemeinsamen Auftritt mit Saxophonistin Daphne Balvers und Akkordeonistin Renée Bakkers.

Birgit Roschy
Neben dem eigentlichen Remake-Festival vom 5.– 10. Dezember sind weitere Filme als Remake on Location vom 25.11.– 30.11. und im neuen Jahr ab 10.1. an verschiedenen Frankfurter Spielorten zu sehen.
www.remake-festival.de
Foto: Mato Seco em Chamas / Dry Ground Burning
© Terratreme

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