Schauspiel Frankfurt: Sapir Heller bringt Heinrich Bölls »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« auf die Bühne

Huch und nanu: Das ist doch Sarah Grunert! Sollte das plötzliche Erscheinen der Hauptdarstellerin im Foyer der Kammerspiele, während der Einlass längst in vollem Gange ist, eine Umbesetzung bedeuten? So fragte man sich um fünf vor acht. Nachher aber, ob es ein Regieeinfall war, àq la: Was Katharina Blum passiert, kann jedem und jeder von uns passieren? Oder ist Sarah Grunert einfach eine coole Socke, die sich kein bisschen Kopf um die textintensive Rolle macht, die sie wenig später über anderthalb Stunden zu bewältigend hat? – grandios, so viel vorweg. Da steht die nicht nur gefühlte Numero Una des Ensembles wie grad vorbeigeschneit, während die Mitspieler längst aus der Maske sind. Nur das Haar wirkt etwas dunkler als sonst.
Tatsächlich dauert es ein Weilchen, bis die Protagonistin des Stücks tatsächlich auf der Bühne erscheint. Eine Perücke mit schwarzen Katja-Ebstein-langen Haaren trägt sie nun, viel länger als die von Angela Winkler im Film, einen blassblauen Nikki, dunkle Hose – aufregend ist anders, aufwendig auch und ein satter Kontrast zu dem, was uns Sapir Hellers Inszenierung von Heinrich Bölls 1974 erschienener Erzählung »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« auf einer blaulichtblauleuchtenden Treppenpyramide zum Einstieg serviert: ein durchaus verwunderliches Showtime-Intro ,mit vier Katzenmasken tragenden Darstellern in sibirisch-dicke Fellmäntel gehüllt lassen »Cats« oder der »Der Meister und Margerita« assoziieren.
Mit der Titelheldin sind die Musik und die Mäntel weg, ist der Light-Schalter geknipst und die Treppe gekippt in ein winkliges Doppel-V, das fortan über alle Stationen des Geschehens als Spielfläche dienen wird. Noch im Showmodus hat uns das Quartett darüber informiert, dass wir uns schon mit der Polizeit in der Wohnung Katharinas befinden, die in der Nacht zuvor den angeblich mordverdächtigen Bankräuber Ludwig Götten beherbergt hat. Weil der aber trotz Vollüberwachung beim morgendlichen Wohnungssturm als verschwunden erweist, kommt die völlig Überraschte, die angibt, sich am Vorabend auf einer Party Hals über Kopf in den ihr bis dahin Fremden verliebt zu haben, in ein erstes sexistisch kontaminiertes Kreuzverhör.
Bölls Erzählung trägt den Bei-Titel »Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann« und schildert wie eine völlig untadelig als Hauswirtschafterin sich über Wasser haltende Frau durch das Zusammenspiel von Polizei und Sensationspresse öffentlich demontiert und binnen weniger Tage zur Mörderin wird. Wie sehr der Autor hier auch eigene Erfahrungen mit der Bild-Zeitung im Kontext der RAF-Debatte verarbeitet, zeichnet er die von Grunert ungemein ruhig und gefasst gespielte sympathische Figur als eine selbstbewusste und geradlinige, doch völlig unpolitische Frau, die sich mit bewundernswerter sprachlicher Akkuratesse im Disput mit den Beamten zu positionieren weiß. Insbesondere, wenn sie – ganze Kapitel der Me-Too-Debatten antizipierend – darauf besteht, im Gesprächsprotokoll das Verhalten vieler Männer als »zudringlich« und keineswegs als »zärtlich« bezeichnet zu wissen.
Zudringlich erweisen sich indes mit der Polizei auch die Medien. Es ist »Die Zeitung«, die in der puren Absicht ihrer öffentlichen Bloßstellung, ihr gesamtes privates Umfeld abgrast, um aus dem »Räuberliebchen« der Erstberichte einen gesellschaftlichen Paria zu machen, der bespuckt, beschimpft, geschmäht und belästigt wird, wo immer man seiner gewahr wird. »Ich könnte den umbringen«, legt Böll zielführend schon früh der Katharina beschäftigenden Architektin und Anwaltsehefrau Trude Blorna gewissermaßen nach einem »Zeitung«-Besuch in ihrem Haus in den Mund. Ihre Angestellte macht es dann wahr, nachdem ihre todkranke Mutter den Reporter-Überfall nicht überlebt.
Dass die Bild-Zeitung längst nicht mehr allein im Abartigen regiert, schmälert keineswegs, ihre fortgesetzt hässliche Rolle in der Gesellschaft. Heller belässt zwar Katharinas Befinden – beispielsweise die Scheu, allein als Frau auszugehen – in den Siebzigern, bezieht jedoch die heute durch Social Media und private TV-Kanäle vielfach gesteigerte Relevanz des Öffentlichen mit ein, in dem eben nicht nur jeder für 15 Minuten zum Weltstar werden kann, wie Andy Warhol prognostizierte, sondern auch zur geächteten Unperson.
Das trefflich besetzte Ensemble setzt das von John von Düffel verfasste Stück in meist wunderbar überzeichneten Mehrfachrollen auf der Bühne wie auf der sehr präsenten Leinwand im Rückraum (Video: Lion Bischof) mitreißend um. Stefan Graf beeindruckt nicht nur durch seine Wandelbarkeit als arrogant-verschlagener Bildreporter Tötges (!) und beflissener Polizeibeamter Moeding, sondern auch in einem recht lang geratenen, doch köstlichen Videopotpourri, das die deutsche Social-Media-Szene für viele im Saal erkennbar karikiert. Dem Ermittler Beizmenne gibt Christoph Bornmüller im Batman-Hemd und mit übergestülpten goldenen Krallenfingen ein zwielichtiges toxisches Profil. Großartig auch sein schmieriger Auftritt als Alois Sträubleder, dem betuchten Verehrer Katharinas. Ein Bühnenerlebnis von jeher sind in den etwas weniger zentralen Rollen Peter Schröder als der sich mehr windende als wendig zeigende Anwalt Blorna und Melanie Straub als überaus kesse Anwaltsgattin.
Zum Showdown in der Wohnung Katharinas ist wieder Showtime angesagt und es rieselt zu dem so unendlich zart klingenden »Every Breath You Take« von Police buntes Konfetti auf den eingeladenen Journalisten Tötges. Im weißen Jackett mit einem Blumenbouquet steigt der sich unwiderstehlich Wissende seiner Sache sicher mit dem Siebziger-Retro-Vorschlag, doch »erstmal zu bumsen«, herab, den die Gastgeberin final aus der Pistole beantwortet.
Weil es durchaus seinen Vorteil hat, im Strandgut nicht für den nächsten Tag schreiben zu müssen, sei der FAZ (Eva-Maria Magel) für den Hinweis auf den gemeinen Stalker-Text des Police-Songs gedankt. Und der FR (Sylvia Staude) für die Erinnerung daran, dass es mehr noch als Böll der Göttinger Psychologie-Professor Peter Brückner war, dem nicht nur die Bild-Zeitung damals übel mitspielte.

Winnie Geipert / © Robert Schittko
Termine: 2., 7., 10., 16. Februar, 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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