Senckenberg: »Die dünne Haut der Erde« stellt den rücksichtslosen Umgang mit dem Erdreich an den Pranger

Bodenlose Frechheiten

Sarah Toumi heißt die tunesische Hoffnungsträgerin. Mit ihrem »Akazien für alle« will die Biologin die fortschreitende Verwüstung des Bodens in ihrer Heimat  stoppen und umkehren. Weil die Bauern dort bisher vor allem wasserbedürftige Dattel- und Olivenbäume anbauen und dafür stark salzhaltiges Wasser verwenden, lässt der sinkende  Grundwasserspiegel immer mehr Ackerbaufläche veröden. Akazien, so hat die Wissenschaftlerin festgestellt, brauchen nicht nur weniger Wasser, dank ihres Wurzelwerks lässt sich der Boden wieder auch revitalisieren und für den Anbau von Gemüse und anderer Bäume nutzen. Nicht zuletzt verschafft das Gummiarabikum der Akazien den Bauern lohnende Einnahmen   
In der Ausstellung »Die dünne Haut der Erde – unsere Böden« teilt sich Sarah Toumi mit drei  weiteren ökologischen Hoffnungsspendern  die »Kammer der Zukunft« am Ende des in vierteiligen Rundgangs. Die ersten drei der im Harry-Potter-Stil benannten Stationen bilden  »Die Kammer des Lebens«, »Die Kammer des Wissens« und  »Die Kammer des Schreckens«. Angelegt ist der abgedunkelte Parcours als eine unterirdische Tour durch tiefbraune und grüne Gänge, die wir aus der Perspektive eines Kleinstlebewesens bestreiten. Vieles, was uns hier gezeigt wird, könnte unser Auge gar nicht sehen.
Die Tour macht uns zunächst mit der verblüffend vielfältigen Bewohnerschaft dieser Unterwelt und deren systemische Nahrungslogistik bekannt. Vom Maulwurf über den Regenwurm bis hin zum Wimpertierchen und der Amöbe. Phantastische Modelle zeigen die oft vielhundertfach vergrößerten Gladiatorenkörper der Krabbler und Kriecher in allen Details. Besondere eindruckvoll ist die Raubmilbe bei ihrer mörderischen Attacke auf einen Springschwanz.
Die »Kammer des Schreckens« ist ganz allein dem Menschen und seinem Umgang mit der Natur gewidmet und hebt mit einem Großereignis an, das auch im Rhein-Main-Gebiet Spuren hinterließ. Die Verheerungen des Magdalenenhochwassers von 1342 werden auf massive Waldrodungen zurückgeführt und sollen durch die folgenden Hungernöte mehr Opfer als die bald folgen Pest (1348-1353) gefordert haben. Allerdings fängt der Einfluss des Menschen damit erst an. Der Einsatz von Pestiziden, der Anbau von Monokulturen, der Einsatz von Großgeräten, die Baulandgewinnung verändern und zerstören das Erdreich fortschreitend, aber auch unser Konsum trägt dazu bei. Für ein Kilo Fleisch braucht es die Leistung von 154 Quadratmeter Land, zehnmal so viel wie für die gleiche Menge Getreide.
Trotz der deprimierenden Schlüsse, die sich aus der Bestandsaufnahme Erdreich ziehen ließen, entlässt die Ausstellung iuns nicht mit apokalyptischen Schaudern. Die »Kammer der Visionen« vermittelt Beispiele von Menschen, die erfolgreich neue Wege beschreiten, und regt dazu an, im eigenen Alltag Zeichen zu setzen.

Lorenz Gatt (Foto: © Paczos)
Bis 13. August:  täglich 9 – 17 Uhr; Mi. bis 20 Uhr; Sa., So. bis 18 Uhr
www.senckenberg.de

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