Staatstheater Darmstadt lässt Henrik Ibsens »Hedda Gabler« auch mal träumen

Gleich mal am Anfang die Aufforderung, sich die Ohren zuzuhalten. Und dann brüllt, unter entsprechend gewitternder musikalischer Begleitung aus dem Off, Trixi Strobel, die Hedda Gabler in der Inszenierung von Ibsens gleichnamigem Stück aus dem Jahr 1891 durch David Stöhr an den Kammerspielen des Darmstädter Staatstheaters, mit einer Macht, dass es eine ideale Attraktion für eine Riot-Grrrl-Band hergeben würde.
Wenige Minuten darauf nur könnte man sich in einem Boulevardtheater wähnen. Ein Sofa hat es im bungalowmodernen Wohnrauminterieur von Sarah Sassen, und die Dialoge flutschen in einer nicht zuletzt auch mimisch pointierten Art zwischen der aus Lebensekel dauerschnippischen Hedda, die mit ihrer nackenlangen Ponyfrisur auch optisch die Sängerin einer Indieband sein könnte, und dem daneben bieder-intellektuell dröge erscheinenden Jørgen Tesman (Daniel Scholz), ihrem Mann in frisch geschlossener Ehe. Gleich auf den ersten Blick hin näherliegender für Hedda scheint der blondlangsträhnige Lederjackenträger Florian Donath als Ejlert Løvborg zu sein, ihr nach ruinösem Suff neuerdings abstinenter vormaliger Liebhaber, ein wissenschaftlicher Konkurrent Jørgens; Eljert tröstet sich einstweilen mit der in ihrer aufopferungswilligen Blässe von Berna Celebi gut getroffenen Thea. Der wie aus alter Zeit stammende Richter Brack (Thorsten Loeb) sticht aus dem Ensemble heraus.
Boulevard ist für David Stöhr das Mittel, um die Fabel von Ibsen, gespielt in der sprachlich gegenwärtigen Übersetzung von Heinrich Gimmler, leichtfüßig-unterhaltsam zu erzählen. Zwischen die Szenen pfropft er Popsongs und Bruchstücke aus dem zeitgenössischen Diskurs um Gender, Macht und Kapitalismus, von Donna Haraway, Audrey Lorde, Margarete Stokowski und Paul B. Preciado, fokussiert in einer (bei Ibsen nicht vorkommenden) Traumsequenz Heddas, gespielt als surrealistische Videoszene hinter der Bühne. Von dort kommt unter anderem auch eine Großaufnahme Heddas, in der sie sich am Spiegel glamourös herrichtet, nachdem sie erfahren hat, dass es mit Jørgens Professur, auf die das Paar eine mentale Hypothek auf einen großbürgerlichen Wohlstand mit gesellschaftsoffenem Haus gebaut hat, wohl nichts werden dürfte. Dass mit der Brillanz der jüngsten Schrift von Ejlert Løvborg Jørgen nicht mitzuhalten vermag, weiß sie so gut wie er selbst.
Karikaturen sind die Figuren keine, Jørgens gewisse Lachhaftigkeit ist gut temperiert und keineswegs überzogen. Selbst wenn er mal gegen die geschlossene Glastür von der Veranda donnert, den Ausruf: »Hedda, wir brauchen Warnvögel« auf den Lippen, bleibt er eine glaubhafte Figur. Ungeachtet einzelner Gags ist das kein Alber-Ibsen.
Die spießerhaft-klassische Einwendung gegen die Diskurssprengsel auf der Bühne geht dahin, dass derlei im Programmheft gut aufgehoben sei. Wir freilich gehen von einem zeitgenössischen Theaterbegriff aus und stoßen uns daran nicht grundsätzlich. Im vorliegenden Fall freilich geschieht das um den Preis einer Überdeutlichkeit. Weshalb dieser Abend, der manches für sich hat, am Ende kein ernstlich großer ist.

Stefan Michalzik / Foto: © Sinah Osner
Termine: 18. Februar, 16 Uhr
www.staatstheater-darmstadt.de

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