Staatstheater Mainz: K.D. Schmidt inszeniert »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?«

Knapp 50 ist er, George, und weiß sich als Dozent für Geschichte an einer Privatuni bereits am Ende dessen, was aus ihm hat werden können. Dass seine berufliche Karriere auch mal nach mehr aussah, lässt uns seine ein paar wenige Jahre ältere Frau Martha ahnen, die Tochter des Direktors der Elite-Universität im US-amerikanischen Nowhere, an der er lehrt. Sie hatte mit ihrem Vater in George nicht nur den künftigen Leiter der historischen Fakultät, sondern sogar Daddys Nachfolger gesehen – und geheiratet. Alles vorbei also für beide schon jetzt, wundersam jedenfalls für uns in einer Zeit, die zwei 80-jährige im Wettstreit um das mächtigste Amt des Landes sieht.
Das Unerfüllte bildet den Kitt, der das Protagonisten-Paar in Edward Albees Ehedrama »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« zusammenhält. Zu jenem gehört auch ein Kind, das George und Martha versagt geblieben ist, auch wenn es sich manchmal so anhört als gäbe es eins. Aller Illusionen beraubt, lassen sie den tiefen Frust über ihre verkorkst empfundene Existenz an Nick und Honey aus, einem jungen Paar, das Martha nach einer Uni-Feier zum nächtlichen Absacker eingeladen hat. Mit einem ausgesprochen fiesen Spiel, das sie nach dem Kinderlied vom bösen Wolf benennen. Einziges Ziel ist es, unter dem Höchsteinsatz von Intellekt und Alkohol hemmungslos einander bis auf die Knochen bloßzustellen und zu beschämen. Die Inszenierung von K.D. Schmidt im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz zeigt das in einer frappierenden Deutlichkeit, wenn sie zum Läuten der Türklingel die beiden Gastgeber zum Publikum gewandt ihre freilich bald in den Wind geschlagenen Verabredungen treffen lässt. »Ich freue mich!«, sagt George, bevor er die Tür öffnet und nach kurzem Abtasten das mit einem routinierten verbalen Infight beginnende göttliche Gemetzel startet. Dass sich der wunde Punkt der beiden Nachtgäste mit dem von George und Martha kreuzt und intimste Details an die Oberfläche spült, macht Albees Drama aufwühlend.
Ein megalanges Sofa ist das einzige Mobiliar auf Matthias Werners weithin leerer Bühne für diese Koproduktion der Mainzer Theatermacher mit Les Théâtres de la Ville de Luxembourg, dazu kommen ein paar Flaschen, Gläser und ein Gag-Gewehr, das für einen ersten Schrecken beim Stelldichein sorgt, und ein wallender Gaze-Vorhang, der von Christoph Schödels Videos in Zwischenszenen zum tropfenden Klavierspiel von Christoph Iacono mit Schimären von Gesichtern bespielt wird. Besetzt ist »Die Mutter aller Zimmerschlachten« (Dramaturg Boris C. Motzki im Programmheft) nachgerade exzellent. In weiten vom Hosenträger gerade noch gehaltenen grauen Hosen gibt ein beeindruckender Luc Feit der Rolle des George die Gestalt eines verhärmten Woody Allen in quasi sprechendem Textil (Kostüme: Virginia Ferreira) alles ein paar Nummern zu groß für ihn geraten im Leben, während Anna Steffens der Anfang 50-jährigen Martha ihre sich aus einem weißen Pelzmantel schälende umhauende körperliche Präsenz mit dem Sarkasmus einer Bessergestellten auszustatten weiß, die sich vor ihrem Vater als Versagerin fühlt. Erst verunsichert, aber proper, dann gereizt, aber gehemmt, und schließlich ausgeliefert sehen wir in Benjamin Kaygun ein Riesenbaby. Seiner in der Übersetzung von Alissa und Martin Walser mit »Süße« betitelten Honey gibt Jil Devresse als lebendiges Naivchen, das in der Konversationsliga freilich nicht mithalten kann, dann aber als Opfer ausgeschlachtet sich ins Koma rettet. Genug, es ist ein jeden Besuch lohnender großer klassischer Abend ohne Regieattitüden geworden, für den wir dankbar sind. Auf ins Gemetzel.

Winnie Geipert / Foto: © Andreas Etter
Termin: 27. März, 19.30 Uhr
www.staatstheater-mainz.com

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