Wie bringt man heute einen Klassiker auf die Bühne? »Romeo und Julia oder Szenen der modernen Liebe sehr frei nach William Shakespeare« ist der Versuch von Regisseur Jan Friedrich, sich für das Mainzer Staatstheater dem altbekannten Klassiker auf zeitgenössische Art und Weise zu nähern. Das dabei prägende Thema ist die Liebe, die große, wahre, echte, romantische, ganz große Liebe. Eben das, was wir alle mit »Romeo und Julia« verbinden. Wer’s nicht in der Schule bearbeitet hat, kennt den Film, hat das Stück dann doch irgendwann gelesen, gesehen oder auch einfach nur davon gehört. Jeder kennt die Geschichte.
In Mainz nun sollte man vor allem darauf gefasst sein, dass es »sehr frei nach William Shakespeare« ist. Schon im Programm, beim Blick auf die Besetzung, werden einem fünf Julias und sechs Romeos geboten – fertig. Keine Amme, kein Prinz, nicht Thybalt, noch Mercutio, keine Rede vom Hass zwischen den Capulets und den Montagues. Die Hälfte des Personals sind Sänger*innen überwiegend der Oper. Vom Mainzer Schauspiel kennen wir Johannes Schmidt, Daniel Mutlu, Maike Elena Schmidt (alle Romeo), Iris Atzwanger. Leandra Enders und Carl Grübel (alle Julia). Die Geschlechter sind damit ebenfalls wild durchmischt.
Betritt man den Zuschauerraum, erklingt bereits Musik. Romeo (Maike Elena Schmidt) sitzt am Klavier, Julia (Sasou Yolanda van Oordt) singt dazu. »Would you die tonight for love?«. Wir sind bereits mitten im Thema. Die Bühne erscheint wie ein impressionistisches Gemälde, natürlich mit einem großen, zentral gelegenen Balkon (Bühne: Louisa Robin). Darunter sitzen die Darsteller mit Blick ins Publikum, alle quasi dem Gemälde entstiegen, in bunten Kostümen (Jan Friedrich), klar als Romeo oder eben als Julia definiert, Iris Atzwanger (Julia) macht den Anfang. Sie wendet sich an das Publikum und erzählt von ihren ersten Erfahrungen mit Shakespeares Drama – im Vergleich zu ihren eigenen Lieben, alle wesentlich weniger romantisch, groß oder dramatisch. Eher gewöhnlich, wie jeder von uns das so kennt. Und plötzlich, so ganz nebenbei, wechselt sie ins Stück, fragt den Romeo (noch immer Maike Elena Schmidt) am Klavier, ob er bereit wäre, heute für die Liebe zu sterben. Seine Antwort ist ein klares Ja, was Julia zunächst schockiert.
Und so schleicht sich das Stück ins Stück und es beginnt eine meist temporeiche Reise durch die Gefühlswelt der Darsteller – mal in der Rolle der Shakespeare-Figuren, mal eher in der als Darsteller*innen. Wer hat welche Erfahrungen mit der Liebe gemacht? Wie realistisch ist Shakespeares Präsentation der ganz großen Liebe? Diese wird gnadenlos seziert: Dabei wird geschwärmt, geweint, philosophiert, eben alles auf die Bühne gebracht, was die große Liebe so ausmacht. Untermalt werden die Ausführungen durch Lieder, die den Inhalt verstärken und unterstützen.
Das Ensemble macht das prima. Und dennoch trägt Jan Friedrichs Fassung nicht durch den ganzen Abend, sondern mündet den Absprung versäumend in einem dauerhaften Widerkäuen der unglücklichen, unerfüllten Liebe. Schade eigentlich. Denn bis zur Hälfte war es spritzig, witzig und gut gebaut. Und vor allem sprachlich hervorragend gelungen, sodass zwischen Original und Adaption oft kaum zu unterscheiden war. Wer »Romeo und Julia« noch nicht kennt, dürfte reichlich verwirrt nachhause gehen. Aber gibt es das noch? Jemanden, dem die größte Liebesgeschichte der westlichen Weltliteratur nicht wenigstens in ihren Grundzügen bekannt ist?
Staatstheater Mainz: Shakespeares »Romeo und Julia« im musikalischen Reality-Test
