Um ein guter Katholik zu werden, würde er sogar Ostereier anmalen, versichert der TV-Comedy-Schreiber Mickey dem Priester, seine jüdischen Eltern aber lässt es ausflippen, dass ihr Sohn aus Angst vor dem Tod fortan an Jesus glauben will, was ihn wiederum an die Nürnberger Prozesse erinnert. Die Verbal-Stunts in Woody Allens »Hannah und ihre Schwestern« schließen gar Themen ein, die den US-amerikanischen Filmemacher bald real betreffen sollten. Kindesmissbrauch, das mache doch heute jeder, wettert sein Alter Ego gegen das Sende-Veto seines Programmchefs.
Zynismen und hintersinnige Sarkasmen bilden die Würze in Woody-Allen-Filmen. Dass von den drei Oscars, die »Hannah und ihre Schwestern« 1987 erhielt, einer für das Drehbuch war, unterstreicht, was dieses von Anton Tschechows »Drei Schwestern« inspirierte Werk so bühnentauglich macht: garstiger Witz und treffsichere Dialoge mit nachdenklichen Zügen über Seinsfragen und das vom konsequenten Scheitern begleitete Streben nach Glück, vor allem, wenn es um Paare geht.
Theater-Regisseur Christian Brey kennt sich aus. Er hat am Frankfurter Schauspiel vor fünf Jahren »Husbands & Wives« und davor in Münster »Matchpoint« inszeniert. Im Kleinen Haus in Mainz bespielt er nun eine in Pastellfarben aufbereitete multifunktionale Attrappen-Bühne von Anette Hachmann und Elisa Limberg: Weiße Wolken schweben über Hoch- und andern Hausfassaden, Klipp-Klapp-Türen, einem Brunnen mit variabel und virtuos nutzbaren Felsen und vielem mehr, das uns – New York, New York – spielend in East-Side-Lofts, den Central Park, die Metropolitan Opera, das CBGB, einen Jazz-Club in Greenwich Village oder auch Arztpraxen versetzt. Eine Kulisse, die ganz nebenbei den polyglotten Bonvivant in uns hofiert, dem die Oper »La Traviata«, die Maler Caravaggio und Frank Stella, die Filme der Marx-Brothers, Henrik Ibsens »Nora« selbstverständlich geläufig sind – »wem nicht?«, sagt ein Protagonist. Wer dann noch die Lyrik E. E. Cummings kennt und gar weiß, nach wem der Catering-Service Stanislawski benannt ist, kriegt ein Intellektuellen-Sternchen.
Der Plot? Viel zu kompliziert. Es sind zwei, drei, vier, fünf Geschichten, die Brey film- bzw. drehbuchtreu um den weiblichen Nachwuchs des köstlich aufspielenden Schauspieler-Paares Norma und Evan (Iris Atzwanger, Martin Herrmann) verzahnt. Als da sind die sorgende ältere Hannah (Kruna Savic), die suchende junge Lee (Lisa Eder) und das aber auch in allem zu kurz kommende Sandwich Holly als Null-Begabung (Maike Elena Schmidt) samt den Ex-, Dauer-, oder Verlegenheitslovern der drei: Hannahs Gatte Elliott (Vincent Doddema), der sich erfolgreich in Lee verliebt, um deren Steigbügel zum Absprung von Frederick (Klaus Köhler) zu werden und Woody-Lookalike Mickey (Henner Momann) als Hannahs hypochondrischem Ex und Weltverschlechterer, der im alle erfassenden Suchen nach Glück ausgerechnet Holly finden wird. Für das Drumherum und Mittendurch im rastlosen, aber immer klarsichtigen Hin und Her sorgen Carlotta Hein, Leandra Enders, David T. Meyer und Denis Larich in exakt 35 Rollen auf und gewiss auch hinter der Bühne. Prima, prima gevielt. Meine Lieblingsszene, auch wenn alle andern andere haben: alles mit Carlotta Hein.
Christian Breys Beigabe zu einem famosen schauspielerischen Feuerwerk ist ein Patchwork aus 80er-Jahre-Hits, von Cindy Lauper bis Madonna, Bowie und Mercury. Durchaus möglich also, dass hier ein Kultstück im Werden ist, das vom Publikum künftig im passenden Outfit frequentiert wird: schreiend bunt und glitzernd mit Dauerwellen, Latz-, Schlag- oder Jogging-Hosen und Pullover in Übergrößen. So schräg und schrill und am Ende passend kitschig, dass das durchaus präsente Besinnliche etwas unsensibel weit ins Hintertreffen gerät. Was aber soll’s? Ein Hit ist ein Hit ist ein Hit.