»The Line and the Circle« im Jüdischen Museum: Ein Film zur Geschichte des Kibbuz Nir Oz, der bei den Anschlägen am 7. Oktober zerstört wurde

Das Jüdische Museum hat nach dem Anschlag der Hamas am 7. Oktober seine Arbeit noch einmal intensiviert. Unter vielen weiteren Programmpunkten ist am Standort am Bertha-Pappenheim-Platz 1 eine Soundinstallation zu hören, welche die Namen der Geiseln unaufhörlich wiederholt – so öffentlich und erschütternd, wie es nur geht.
Als eine weitere – und sehr bewegende Reaktion – ist nun ein Film im 3. Stock der Dauerausstellung ins Programm genommen worden, »The Line and the Circle« von Sharone Lifschitz, der bereits im Jahr 2009 entstand. Die Museumsdirektion Mirjam Wenzel richtet den Blick auf die ersten Ziele der Hamas, die nicht unwillkürlich gewählt waren: Es handelte sich um Kibbuzim, die Hoffnungsträger eines neuen sozialistischen Israel, eine weltverwandelnde Idee, älter als der eigentliche Staat, in denen das Kollektiv, die Gemeinschaft, als Grundpfeiler einer Gesellschaft formuliert wurde. Mit der Zerstörung dieser Ziele sollte auch ein identitätsstiftendes Symbol Israels vernichtet werden, so die These, auch wenn Kibbuzim in der heutigen Gesellschaft Israels keine tragende Rolle mehr spielen. Sie spielten sie aber – und wie.

Die junge israelische Regisseurin Sapir Heller, die am Schauspiel Frankfurt für »Biedermann und die Brandstifter« verpflichtet wurde, plant für den 4. Januar eine Performance des Textes der Autorin Maya Arad Yasur, den sie im Anschluss an den 7. Oktober schrieb: »Nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten«. Man kann ihr gar nicht genug danken für diese Worte, weil sie die Sprache widerfand, die alle verloren hatten, sagt Sapir Heller. Sie selbst besuchte den Kindergarten des ebenfalls zerstörten Kibbuz Be’eri: »Wenn man das Tor aufmachte, war es Freiheit. Hier konnten alle unterschiedlich sein, und es war in Ordnung. Das ist die Antwort auf Integration.«

Die Eltern von Sharone Lifschitz bewohnten das am 7. Oktober zerstörte Nir Oz. Die Filmemacherin ist dort aufgewachsen. Die Eltern wurden als Geiseln genommen, die Mutter Yocheved kam frei, der Vater Oded (noch) nicht. In »The Line and the Circle« wird nun die Beziehung zwischen Mutter und Tochter einer ebenso kritischen Reflektion unterworfen wie das Leben in einem Kibbuz, das sich damals strenge strukturelle Regeln auferlegte. Kinder lebten von ihren Eltern getrennt in Kinderhäusern, die Familie sah sich nur für zwei Stunden am Tag.
Der Film ist auf eine sehr poetische und zarte Weise Austragungsort der verschiedenen Positionen, und man sieht das Trennende, das gleichzeitig das Verbindende ist: Die Mutter war eine bekannte Fotografin, die das Leben im Kibbuz festhielt, die Tochter ist Filmemacherin. Dafür hat Sharone Lifschitz eine schöne Kameraperspektive gewählt: Man sieht lediglich ein Entwicklerbad und Hände, die darin Fotopapier bewegen. Langsam entstehen Figuren, Landschaften, es erscheinen Fotos aus den Gründungstagen des Kibbuz. Fotos auch von ihr und ihrer Mutter, von Versammlungen, der Arbeit auf dem Land, Porträts. Die Stimmen kommen aus dem Off. »Ihr seht so glücklich aus auf den Fotos«, stellt die Tochter fest, »aber wir waren doch nicht immer glücklich.« »Doch, das waren wir,« sagt die Mutter. »Wärest Du eine andere geworden, wenn Du nicht im Kibbuz gelebt hättest«, fragt die Tochter. »Sicher wäre ich das«, sagt die Mutter.
Auf einer persönlichen, reflektierten Ebene werden hier die Themen Kollektiv und Beziehungen verarbeitet, doch was die Betrachter*innen heute so verstört an diesem kleinen zarten Film, ist die Hoffnung, die aus den Worten der Mutter spricht. Die Hoffnung, in einem sozialistischen Kibbuz in Israel ein adäquates Leben in neuer Form gefunden zu haben. Die zerstört wurde, so wie das Leben auch.

Susanne Asal
www.juedischesmuseum.de
Foto: Installation Sharone Lifschitz
© Juedisches Museum Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz

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