Staatstheater Wiesbaden: Jan Philipp Gloger lässt »Biedermann und die Brandstifter« auf die Szene los

Angst fressen Hipster auf

Als gar nichts mehr geht, trinkt er sich den Albtraum schön, zu dem ihm die Wirklichkeit geworden ist. Mit nichts als einer Pulle Bier am Leib und von der Lebensgefährtin Babett unterstützt schmettert Wiesbadens neuer Biedermann den Volksfestschlager von den Händen, die jetzt zum Himmel sollen, dieweil sich um beide die Protagonisten der Apokalypse tummeln: Soldaten, Terroristen, ein Imam, eine Burka-Muslima, auch ein Trump ist dabei.
Die ins Heute verlegte Inszenierung von Max Frischs »Biedermann und die Brandstifter« am Hessischen Staatstheater ist nicht weniger pessimistisch als das 1958 uraufgeführte Original. Sechzig Jahre später haben sich Myriaden von Oberschülern an der zeitlosen Geißelung der gesellschaftlichen Mitläufer und Möglichmacher die Abiturhörner gewetzt, dabei aber zuletzt wohl zunehmend gelangweilt. Die Geschichte vom konfliktscheuen Kleinbürger, der sich partout weigert, zwei in sein Haus gezogene Brandstifter als das, was sie sind, wahrzunehmen, ist trotz großartiger Dialoge so schnell offenbar, dass es schon guter Schauspieler und noch besserer Regieideen bedarf, die Spannung zu halten.
Unter der Intendanz von Uwe Eric Laufenberg ist solches ein Fall für Jan Philipp Gloger. Der Bayreuth-Jungregisseur und kommende Intendant am Nürnberger Staatstheater siedelt das Drama mitten ins ballaststofffreie und klimaneutrale Milieu Nordendscher Prägung. Sein Biedermann heißt Max und nicht Gottlieb (Maximilian Pulst), betreibt ein erfolgreiches Start-up, lebt mit Babette (Llewellyn Reichmann) eher lose zusammen und hat in der Latina Anna (Kruna Savic) eine Haushaltshilfe, mit der er englisch kommuniziert. Während Max noch mit Mama über die schrecklichen Brände und ihre Verursacher telefoniert, drängt der erste von letzteren, Ringer Schmitz (Norbert Birnbaum), schon in die Wohnung. Mit seinem Kumpel Eisenring (Rainer Kühn) setzt er sich spielend wie ehedem beim gutbürgerlichen Nachkriegsspießer nun auch bei dessen nur vermeintlichen Antipoden von heute durch.
Angst fressen Seele auf, auch in der Hipster-Szene. Denn weil auch hier nur wahr sein kann, was wahr sein darf, ignoriert Max die überall herumstehenden Benzinkanister in seinem Haus und erklärt die unverblümten Ankündigungen seiner Gäste für besonders gelungene Scherze. Einzig das Hausmädchen Anna bleibt resistent und verlässt das durchgedrehte Haus nicht ohne den Hinweis, dass die Deutschen wohl ein Geschichtsproblem haben.
Doch Hipness schützt auch in Wiesbaden nicht ganz vor Längen, wozu freilich nicht der endlose Nonsens-Dialog zwischen dem umwerfend gut aufgelegten Rainer Kühn und Maximilian Pulst gehört. Ohnehin sind es die Gestandenen im Ensemble (Kühn, Birnbaum, Savic), die dem zweistündigen Stück den Pep geben, der das Kommen lohnt.

gt (Foto: © Karl Monika Forster)
Termine: 7., 14., 17., 21., 22. Februar, 19.30 Uhr
www.staastheater-wiesbaden.de

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