Staatstheater Wiesbaden zeigt couragierte Mutter Courage

Wie die stumme Kattrin ihre Sprache wiederfindet

Bertolt Brecht verfasste 1939, direkt nach dem Überfall Nazideutschlands auf Polen, im dänischen Exil die Geschichte »Mutter Courage und ihre Kinder, eine Chronik aus dem dreißigjährigen Krieg«. Es ist die Geschichte der Marketenderin Anna Fierling, die meint, in Kriegsgeschäften ihren Schnitt machen zu können und letztendlich alles verliert. Heute wird das Stück allgemein als Antikriegsstück zur Schullektüre genutzt, das die kleinen scheinbaren Profiteure des Krieges ins Visier nimmt –  und damit durchaus Aktualität beweist. Berühmt bis heute ist die gefilmte Berliner Inszenierung von 1949.
Doch es muss nicht immer ein heruntergekommener Planwagen sein, der für die Versorgung der Truppen neben diesen einher zieht. Es kann auch ein sich lustig drehendes mehrstufiges Musik-Karussell sein, das für Unterhaltung sorgt und auf dem alle in allen Kostümen der Zeit mitspielen dürfen, wie jetzt in Wiesbaden. Auch die Courage muss nicht ärmlich gekleidet, abgehärmt à la Helene Weigel erscheinen. Sie kann, wie von Thorleifur Arnarsson inszeniert, flott, schick, sogar sexy und völlig cool ihre Geschäfte mit dem Krieg machen. Hauptsache, die Kasse stimmt – und die Familie bleibt zusammen.
Dass letzteres nicht gelingt, liegt an ersterem, das wissen wir schon. Und so ist es weniger die von Bertolt Brecht formulierte Intention, den Zuschauer zum Selber-Denken anzuregen, die uns hier fesselt, als die ganz andere Bildhaftigkeit, mit der das Stück auf die Bühne gebracht wird. Die Courage ganz in Weiß, Jackett, enge Hosen, schwarze Stiefel und Zylinder, mit frechem Mundwerk und starker Stimme (Sólveig Arnarsdóttir); ihre Jungs, die auch zugleich Soldaten spielen müssen (Nils Strunk und Christian Erdt), Werber, Koch und Prediger, Yvette und die stumme Kattrin. Alle musizieren, singen, spielen, tanzen. Und erst spät entdeckt man die Seele des Ganzen, eine schwarz vermummte Gestalt am Klavier. Es ist Gabriel Cazes, der auf phantastische Weise alles musikalisch zusammenhält: Paul Dessaus Bühnenmusik und Lieder, schräge Improvisationen über bekannte Themen, zerbrechenden Pop, verkitschte Allerweltsmelodien, je nach Anlass.
Eine Kriegsgewinnlerin gibt es auch. Die Prostituierte Yvette (wunderbar: Kruna Savic) erscheint mit prachtvoll riesigen Flügelärmeln, gesponsert von ihrer neuesten Eroberung. Ihre roten Schuhe bleiben für die stumme Kattrin (Barbara Dussler), die »an Mitleid leidet«,  hier aber in Yvettes Rolle schlüpft. Ob es nötig war, den ohnehin nicht besonders charakterstarken Koch (Janning Kahnert) zusätzlich als ihren Vergewaltiger zu inszenieren? Nicht mal den Salomon-Song darf er singen, und also erteilt die Courage ihm wie zuvor dem Feldprediger (Michael Birnbaum, schön frech) eine Absage.
Letztendlich zieht sie alleine los, in der trügerischen Hoffnung, einen ihrer Söhne wiederzufinden. Die stumme Kattrin verliert sie auch. Aber nicht etwa durch den Feind während ihres heldenhaften Trommelalarms, sondern nachdem diese ihre Stimme wiederfindet und – in völliger Verkehrung des brecht’schen Schlusses – wunderbar singend in ein eigenes Leben entschwindet. Sehens-und hörenswert!

Katrin Swoboda (Foto: © Andreas Etter)
Termine: 17. März 19.30 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de

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