Stück für Stück …

 

von Winnie Geipert

Burgfestspiele Dreieichenhain: Und wenn sie nicht gestorben sind

Aufstand im Märchenwald

Burgfestspiele Dreieichenhain: Und wenn sie nicht gestorben sind

Da haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das ehrgeizige Vorhaben des Frankfurter Holzhausen-Quartetts, 200 Jahre nach dem gesammelten Ersterscheinen »alle Märchen der Brüder Grimm in einem Kammer-Musical« zu präsentieren, hat das gesamte Personal der Hanauer Jubilare in helle Aufregung versetzt.

Nicht nur, daß die unbekannten Märchen die willkommene Plattform dafür nutzen, laut und heftig gegen ihr öffentliches Totschweigen und die Ignoranz der Kulturverantwortlichen zu protestieren und eine Quotenregelung bei Lese- und Theaterabenden fordern. Nein, geplagt von Burn-out, allseitiger Konkurrenz und internen Querelen flippen auch die Superstars der Szene aus. Rapunzel erscheint mit Punkerfrisur zum Dienst, Rumpelstilzchen leidet durch das ewige Aufstampfen an der Bandscheibe und Rotkäppchen verweigert in der Bettszene mit dem lüsternen Wolf den Text (»Ich sag das nicht, ich weiß doch, was dann passiert«).Damit nicht genug hat auch die von Stimmkrämpfen geschüttelte Frau Holle die Nase voll vom ewigen Bettenmachen, während sich Hänsel und Gretel im übelsten Gallus-Slang über die nächtliche Route streiten und selbst das Spieglein an der Wand sabotiert und erzählt der bösen Königin plötzlich, daß so ziemlich alle schöner seien als sie.

Gute 90 wahnwitzige Minuten dauert der musikalische Parforceritt zwischen Rap und Arie, bei dem alle 199 Titel notwendig verkürzt, zwangsläufig verstümmelt, aber eben auch herrlich schräg zu Gehör kommen. Allein das kürzeste (und traurigste) aller Märchen, das vom eigensinnigen Kind, hören wir unverfälscht. Doch alles wird gut, so viel sei versprochen. Sabine Fischmann und Till Krabbe übernehmen nicht nur den diplomatisch-pädagogischen, sondern auch parodistisch-gesanglichen Part eines mitreißenden Abends, den Markus Neumayer virtuos am Klavier begleitet und dem der Bariton Berthold Possemeyer mit stimmigen schönen Liedern unter anderem von Schubert und Schumann den Stempel des Besonderen verleiht. Man darf mal gespannt sein, wie sich das Quartett unter freiem Himmel vor großer Kulisse macht. Im Goethehaus versetzte es das Publikum in Begeisterung.

Termin: 3. August, 20 Uhr

 


 

Burgfestspiele Bad Vilbel: Des Teufels General

Unbequemes Ahnen

Burgfestspiele Bad Vilbel: Des Teufels General

Die deutsche Reichswehr ist gewiß kein schöner Anblick auf der Theaterbühne. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Carl Zuckmayers Drama »Des Teufels General« lange nicht mehr auf den Spielplänen stand. Ob die Burgfestspiele in Bad Vilbel nun Pioniere sind, oder ob es nur Zufall ist, daß auch das Schauspiel Frankfurt sich demnächst an den Stoff wagen will, wird sich weisen.

Auf der Vilbeler Wasserburg hat Regisseur Harald Demmer mit einer überaus glaubwürdigen und bestens besetzten Inszenierung schon mal deutlich gemacht, daß der Zwiespalt in Luftwaffengeneral Harras und seinen Zeitgenossen kein gestriger ist. Kaum eines der Schicksale, die Zuckmayer in seinem böserweise »Volksstück« genannten Drama entwirft und die ein breites Spektrum deutscher Mentalitäten widerspiegeln, läßt uns kalt. Auch wenn es bei den vielen Rollen etwas braucht, die einzelnen Charaktere zu orten, dürfte jeder bei der Frage »Wie hätte ich mich verhalten?« den seinen erahnen. Bequem ist das nicht.

Zuckmayer hat das Stück im US-amerikanischen Exil schon 1941 begonnen und dabei gewiß auch aus dem Porträtfundus geschöpft, den er für den amerikanischen Geheimdienst OSS über die deutsche Kulturszene anlegte. Angeregt wurde die Geschichte über den leidenschaftlichen Flieger und Nazi-Hasser Harras durch den Selbstmord des populären Reichluftwaffepiloten Ernst Udet.

Die 1945 abgeschlossene und 1946 in Zürich uraufgeführte Bühnefassung zeigt Harras als selbstbewußten Lebensfrohen, der kein Blatt vor den Mund nimmt, aber für das (Kampf-)Fliegen alles in Kauf zu nehmen bereit ist. Erst als er nach einer Absturzserie, der Sabotage verdächtig, in Ungnade fällt, reift sein Entschluß auszusteigen. Des Teufels General war nach dem Krieg das meistgespielte Stück auf deutschen Bühnen und schlug auch als Film mit Curd Jürgens Kassenrekorde. Allerdings gründete der Erfolg wohl weniger in den Einsichten, als in einer ideologiebereinigten Militärverherrlichung des Protagonisten.

Dam ist in Bad Vilbel gewiß nicht so. Tobias Lehmann spielt den General auch mit hoher körperlicher Präsenz auf allen Stufen der Gefühlsskala großartig. Er gibt den Charmeur und den Ehrenmann, den gewitzten Spötter und den zu tiefster Empathie fähigen Freund. Er wütet und wird nach dem Tod des Freundes Eilers (Tilmar Kuhn!) von Trauer übermannt. Nur die Liebe zu Diddo (Eva-Maria Kasper) gerät etwas väterlich: Ganz groß ist dafür die Szene, in der dessen Frau (Natalie Forester) sämtliche Illusionen verliert, und das abwegig mannhafte Duell mit deren blank ziehenden Nazischwester Pützchen (Danielle Green).

Ohnehin sind die Frauenrollen stark konturiert, wobei Iris Atzwander als Diva Olivia Geiss besonders gefällt. Fast zuviel des Guten – für diese Zeilen. Das Lob für Björn Geske, der den Chauffeur Korrianke spielt, paßt aber noch rein.

Termine: 2., 3., 4., 14., 15., 22., 23. August, jeweils 20.15 Uhr

 


Kammeroper im Palmengarten: La Traviata

Die Muppets sind los

Kammeroper im Palmengarten: La Traviata

Dies vorweg: Stimmen die Wetterbedingungen halbwegs, dann gehört, frei nach Possmann, »La Traviata« in der Regie von Rainer Pudenz und unter der musikalischen Leitung von Florian Erdl gewiß zum Schönsten, was aus einem sommerlichen Abend in dieser Stadt werden kann.

Freilich wirft die Verdi-Oper um die schwindsüchtige Violetta (Eva-Maria Haas) erst mal die Frage auf, wer hier eigentlich wie und warum »traviata«, sprich: »vom Wege abgekommen« ist. Die so Genannte führt das auf der Kamiliendame von Alexandre Dumas basierende Libretto schließlich als Edelprostituierte ein. Vom Wege ab kommt darum eher Alfred (Max An), der sie im »Salon« entdeckt und sich unsterblich in sie verliebt. Sein schnell gefaßter Plan, mit Violetta in der Landidylle der Bürgerlichkeit spätestens im zweiten Akt glücklich zu werden, und sein Scheitern bilden den Plot dieses vor populären Melodien berstenden Klassikers.

Vom Wege herkömmlicher La-Traviata-Inszenierungen ab weicht auch Pudenz, der die Auftaktszene in ein florierendes Bordell verlegt und zu einer erotischen Muppetshow auflädt, die freilich mehr für ein vergnügliches Spektakel als für Spannung im Lendenbereich sorgt. Nicht allein, daß den hemdloser Puffvater ein Countertenor (großartig: Robert Crowe ) gibt. Mit üppigsten Dekolletés, in Netzstrümpfen und Strapsen bezirzen die von Alexandra Berghoff ausgestatte, Pikkolos schlürfende Liebesdienerinnen eine illustre Schar notgeiler älterer Männer. Was Alfredo und seine Angebetete in der innigsten Liebesarie transzendental erleben, wird hinter ihrem Rücken vom Blow-Job bis zur Stehnummer mehr oder minder in Rohform absolviert. Doch läßt uns selbst Violetta eher an Carmen am Morning after denken als an eine sublimierende schwindsüchtige Kurtisane.

Daß die Arme uns ab und an mal was hustet, um sich stimmlich allein oder mit ihrem Lover schnell und gesanglich überzeugend in schönste Höhen zu katapultieren, nimmt man gerne in Kauf. Jedenfalls lieber als die gesungene »Tuberkulose« in der vom musikalischen Leiter selbst verfaßten Version. Auf Italienisch klingt das bestimmt poetisch.

Unterm Strich konterkariert das schräge Bühnengeschehen auf überaus sympathische Weise die Melodramatik des Stoffes, die vor allem in der wunderbaren musikalischen Interpretation unter Florian Erdl ihren Ausdruck findet: sanfte Bläser, weiche, den leisesten Regungen des Herzens nachspürende Intimität des Orchesters, schön ausgeführte Klangbilder in den beiden Orchestervorspielen und dann wieder dramatische Passagen der Streicher. Alles in allem, ein wunderbarer Abend im Palmengarten. Aber das hatten wir schon.

Termine: 1., 3., 4., 5., 8., 10., 11., 12. August, jeweils 20 Uhr
Winnie Geipert/Katrin Swoboda

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