Süß, so bitter

»Rache: Geschichte und Fantasie« im Jüdischen Museum

Baseballschlaeger aus Inglourious Basterds © Lukas Pichelmann

Wie viele Gedanken passen eigentlich in einen Raum, wie viele Geschichten, wie viele Bilder, wie viele Ideen? Das Thema der Sonderausstellung »Rache: Geschichte und Fantasie«, die sich derzeit im Untergeschoss des Jüdischen Museums entfaltet, ist wieder so eines, das mit seiner Unendlichkeit, Unergründlichkeit spielt. Das Konzept ist klar: In dem man Gefühle zum Motto erkürt, kann das Ergebnis nur assoziativ sein, kann man nur ein Raster präsentieren, das die Exponate umso nachdrücklicher befüllen müssen. Dieser Eingeschränktheit – aber eben auch Bereicherung – eingedenk: Wie das hier ausgeführt wird, ist wieder einmal ein Knaller.
Zur Einstimmung das Logo der Ausstellung: ein bisschen Horrorfilm, ein bisschen Rolling Stones Cover, eine Prise Rocky Horror Picture Show, ein bisschen 1920-Jahre-Design: Blutstropfen rinnen vom grell-pinken Rache-Schriftzug. Damit ist man schon mal eingestimmt auf das anschließende schwarz verdunkelte Zimmer, das als Prolog in die eigentliche Ausstellung überleitet: flackernde Spotlights werfen ihre Lichtbündel auf einen Baseballschläger, der an Fäden von der Decke schwebt. Es ist natürlich nicht irgendein Baseballschläger, es ist DER Baseballschläger, Akteur im Tarantino-Film „Inglourious Basterds“, mit dem Donny Donowitz in dreckiger Armeehose und Unterhemd Nazis erschlägt, umspielt von den Klängen der Filmmusik.
Diese dramatische Inszenierung setzt sofort das bestimmende, auch überhöhende, auch augenzwinkernde Zeichen: wo liegt die Schnittstelle zwischen Geschichte, Legende und Fantasie, wo verweben sie sich und wo entwickeln sie sich zu Ikonen? Wie werden sie in die Gegenwart überführt? Der Fundus, aus dem die Ausstellung schöpft, ist natürlich ein historischer, aber er ist auch ein popkultureller, und beide Pole setzt sie erfindungsreich immer wieder in Beziehung. Das bedeutet, dass man den mächtigen Samson (Simson) nicht nur auf Ölgemälden sieht und auf einem Kupferstich von Gustave Doré, wie er den Tempel zum Einsturz bringt, sondern auch als weißen Muskelprotz-Supermann, eine blonde prügelnde Comic-Ikone. Das bedeutet, dass in Nachbarschaft des Renaissance-Bildes »Judith und Holofernes« von Jacopo Ligozzi das poppig bunte Gemälde einer prachtvollen schwarzen Judith hängt, die den Kopf einer weißen Frau in der Hand hält, gemalt von Kehinde Wiley, der als Obama-Porträtist bekannt wurde.
Wunderbar gelingt dieses Spiel auch mit Lilith, der ersten Frau Adams, die ihm die Unterwerfung verweigerte und Eva Platz machte – viel besser erging es Adam mit Eva allerdings auch nicht, wie wir wissen – und ebenfalls aus dem Paradies vertrieben wurde. Die Legende macht sie dann zur blutsaugerischen Verführerin, zur Nachtgestalt, was die jüdische Frauenbewegung in den USA aber nur dazu ermutigt hat, sie als Vorgängerin im Ungehorsam zu feiern und ihre Monatszeitschrift nach ihr zu benennen.
Mit dieser scheinbar spielerischen Ausstellungspraxis werden spannungsgesättigte Bögen geschlagen und mit den unterschiedlichsten Exponaten neu kontextualisiert. Briefe sind zu sehen, Dokumente, Gemälde, Handschriften, ein kostbarer Chanukkaleuchter, eigens für die Ausstellung komponierte Installationen. Der assoziative Themenreigen beginnt mit Rachefantasien als Reflex auf ungesühnte, so zahlreich verübte Pogrome, Massenmorde und Verfolgungen, führt weiter zu den Geschichten aus dem Tanach, der hebräischen Bibel, die Legenden und Mythen herausgebildet haben und hier auch in popkulturellen Diskursen gespiegelt werden. Wer wusste, dass die Geschichten von Batman und den X-Men aus der Feder jüdischer Autoren flossen? Ausgespart werden weder jüdische Piraten noch die jüdische Mafia Kosher Nostra, zu der Bugsy Siegel und Meyer Lansky zählten – was unter Rache zu verstehen ist, das soll hier kantig, möglichst vielschichtig, präsent sein.
Aber Rache: was ist im jüdischen Glauben Rache? Es ist ja nur Gott, Jahwe, befugt, Rache auszuüben. Nur er kann Sodom und Gomorra zerstören, nur er kann Prüfungen senden und bestrafen. Das ist sein alleiniges Recht. In diesem Zusammenhang kann es also nur um Selbstermächtigung gegen die Schrecknisse, Gewalttaten und Pogrome gehen, die über Jahrtausende hinweg das Leben der Juden prägten und prägen.
Der Ausstellungsparcours kulminiert in einem von schwarzen Stoffdreiecken verhängten Innenrund – Nakam (=hebräisch für Rache) und verlässt die Ebene der Fiktion. Nakam bezeichnet eine Vergeltungsaktion, die Gerechtigkeit wieder herzustellen versucht, wo es andere Formen zu deren Restaurierung nicht mehr gibt. Die Verfolgung und Ermordung durch die Nazis werden in diesem abgezirkelten Bereich thematisiert, die Biografien von Herschel Grynszpan und David Frankfurter vorgestellt, um dann jüdische Vergeltungsaktionen nach 1945 zu benennen. Der Holocaust-Überlebende und Schriftsteller Abba Kovner zum Beispiel sammelte eine Gruppe von etwa 50 Mitstreitern, um sich für Nazi-Verbrechen zu rächen – es sollten Brunnen in deutschen Großstädten vergiftet werden.
Dies sind nur einige der Geschichten, Bilder und Ideen, die sich in »Rache: Geschichte und Fantasie« materialisieren. Es steckt so viel mehr an Reflexion darin, angetippt, angedeutet, als Dialog aufgenommen. Platz für den eigenen Diskurs. Und so hört der Museumsbesuch eigentlich nie auf…

Susanne Asal (Foto: Ausstellungsansicht
© Norbert Miguletz/Jüdisches_Museum)

Bis 17.7.: Di.–So., 10–17 Uhr
www.juedischesmuseum.de

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