Forever Young
Es ist nur ein kurzes Stoßgebet, mit dem sich ein unbedarfter Londoner Dandy namens Dorian Gray den finsteren Mächten ausliefert. Von seinem Porträt durch die Künstlerhand von Basil Hallward überwältigt und von den Verheißungen seines mephistophelischen Freundes Lord Henry verführt, beschwört der schöne Jüngling das Gemälde, den Fluch des Alterns anstatt seiner auf sich zu nehmen – und wird erhört. In einer Zeit, die weder Beauty Farmen noch Botox kennt, erlangt Dorian Gray die Ewige Jugend, während sein Abbild Falten wirft.
Oscar Wildes einziger Roman wird im English Theatre nun von Tom Littler in einer neuen Fassung inszeniert, die der leibhaftige Enkel des Autors, Merlin Holland zusammen mit dem Schriftsteller John O’Connor zu Papier brachte. Die beiden haben ihrer Bühnenadaption neben dem Roman auch die in einem Magazin erschienene Erstveröffentlichung von »The Picture of Dorian Gray« zugrunde gelegt, die den homoerotischen Kontext der Protagonisten sehr viel unverblümter beleuchtet. Die Uraufführung fand vor gut einem Jahr zum 125. Jahrestag des Werkes am Londoner St. James Theatre statt. Es versteht sich, dass Frankfurt die deutsche Erstaufführung sehen wird – im Beisein übrigens von Holland.
In knapp 20 Szenen wird der hochdramatische Fall mit Faust’scher Note ausgerollt: vom Schwur im Atelier, über seine im Suizid der Schauspielerin Sybil Vane endende gretchenhafte Affäre und die mörderische Rache an dem ihm verfallenen Schöpfer seines Konterfeis, bis zum tragödienhaften Absturz des gewissenlosen Hedonisten, der sich am Ende nur selbst richten kann. Wildes heute eher ermüdenden kunsttheoretischen Debatten, die der im Fin de siecle des Englands von Queen Victoria agierende Protagonist – nicht minder ausladend – in orgiastischem Konsum und in rücksichtsloser Selbsterfahrung auszuleben versucht, werden dabei auf ein einziges Kapitel verdichtet.
Und genau darauf, darf man gespannt sein. Schließlich hat Regisseur Tom Littler am English Theatre bereits mit seinen Inszenierungen von »The Glass Menagerie« (Tennessee Williams) und des Alfred-Hitchcock-Thrillers »Strangers on a Train« in Frankfurt gezeigt, wie schlüssig er fluide Wahn- oder Rauschsequenzen in eindringliche Bildsprache zu übersetzen vermag. Mit an Bord ist wieder sein Lichtdesigner Ben Cracknell aus der Hitchcock-Produktion. Nur so viel sei hier verraten, dass uns eine zunächst sehr abstrakt und heutig begegnende Welt unmerklich in das zwielichtige Zeitalter viktorianischer Dekadenz und Prüderie ziehen wird, und womöglich verstrickt – wenn’s denn klappt.
»The Picture of Dorian Gray« wird, wie fast alle andern Produktionen des English Theater, bis zwei Wochen vor der Premiere in Londoner Studios geprobt, um dann in Frankfurt nur noch implantiert und feinjustiert zu werden. Vier Schauspieler sind dabei, von denen nur Michael Lanni als Dorian Gray in einer festen Rolle bleibt, seine Kollegen Natasha Rickmann (Sybil Vane), Richard Lynson (Lord Henry) und Timothy Allsop (Basil Hallward), den wir schon als Hauptdarsteller aus »Strangers on a Train« kennen, teilen sich rund ein Dutzend weitere Figuren.
Wer über die wahren Motive von Oscar Wilde mehr erfahren will, sollte den Vortrag von Merlin Holland nicht versäumen (siehe vorgeführt nebenan).
Britischer als dieser Auftakt in die »Strictly British Saison«, die sich das English Theatre vorgenommen hat, kann es wohl kaum werden. Oder doch: Als nächstes Highlight steht vom 10. November an »Monty Python‘s Spamalot« auf dem Spielplan. Die Tickets dafür kann man sich jetzt schon sichern.