Die verflixte Vaterrolle
Aus Cannes kommt dieser Film mit euphorischen Rezensionen und dem FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritik. Dass die Jury ihn nicht mit einer Palme bedacht hat, wurde allgemein als Fehlentscheidung gewertet. Vermutlich ist die Begeisterung für den Film als Folge einer Mangelerscheinung zu verstehen. Handelte es sich doch um die erste deutsche Produktion im Wettbewerb des Festivals seit Jahren, und deutsch, sehr deutsch ist »Toni Erdmann« allemal.
Das beginnt bei dem Konflikt, von dem die Rede ist. Winfried, der Vater (Peter Simonischek), ist ein 65-jähriger Musiklehrer mit einer 68er-Vergangenheit, in der er nach wie vor verhaftet ist. Er ist stets zu schrägen Scherzen aufgelegt, etwa wenn er ein Paket von einem anrüchigen Absender bekommt. Dann quält er den geduldigen Paketboten mit einer sich hinziehenden, karnevalesken Verkleidungsaktion und gibt sich als sein Bruder aus. Tochter Ines (Sandra Hüller) hingegen ist eine ernsthafte Karrierefrau, die sich von ihrem Vater abgenabelt hat. Doch Winfried will nicht loslassen, sucht ihre Nähe, besteht auf einer fortdauernden Beziehung. In Deutschland nennt man dies eine tragische Situation, aber Regisseurin Maren Ade, die mit dem langweiligen Werk »Alle Anderen« 2009 auf der Berlinale mehrere Preise gewann, reichert ihr Drama diesmal, dem Himmel sei Dank, mit komischen Szenen an.
Winfried reist Ines nach Bukarest nach, wo sie gerade als Unternehmensberaterin unterwegs ist und eine Umstrukturierungsmaßnahme mit drohenden Massenentlassungen in die Wege leiten soll. Um sich in dem öden Business-Umfeld seiner Tochter bemerkbar zu machen, erfindet er die Kunstfigur Toni Erdmann. Mit schwarzhaariger Wuschelperrücke und künstlichen Zähnen à la Horst Schlemmer taucht er in den (un)passendsten Momenten auf – sehr zum Unwillen seiner Tochter.
Äußerst differenziert sind in diesem Film die Personen gezeichnet. Winfried (die Figur ist wohl auch ein wenig vom Vater der Regisseurin geprägt) wird keineswegs nur als peinlicher Harlekin gezeigt, er ist auch ein tiefsinniger, welterfahrener Mann, dem man abnimmt, dass er befürchtet, seine Tochter führe ein entfremdetes Leben. Und Tochter Ines ist keine Karikatur eine Karrieristin, sondern eine zielstrebige, aber durchaus auch sensible Mittdreißigerin, die ihren Vater nicht vor den Kopf stoßen will. Natürlich machen beide eine Entwicklung durch. Doch diese gehorcht nicht irgendwelchen dramaturgischen Regeln. Wie es mit ihnen weitergeht, bleibt am Ende offen. Das ist von Peter Simonischek und Sandra Hüller großartig gespielt. Dennoch ist »Toni Erdmann« nicht unbedingt das um die Goldene Palme betrogene Meisterwerk.