Sechs Geschenk-Tips von Sigrid Lüdke-Haertel
Ferdinand von Schirach: »Carl Tohrbergs Weihnachten«
Drei Stories. Piper Verlag, München 2012, 61. S., 9 €
Mit seinen beiden Erzählungsbänden »Verbrechen« und »Schuld« wurde der Berliner Strafverteidiger zum Erfolgsautor, gelobt von der Kritik, geliebt von den Lesern. Sein erster Roman »Der Fall Collini«, ebenfalls erfolgreich verkauft, war, ehrlich gesagt, nix besonderes. Jetzt, rechtzeitig vor Weihnachten, hat von Schirach drei neue, kleine Erzählungen in einem dünnen Büchlein versammelt. Geschichten, wie man sie von ihm kennt und schätzt. Wie die von dem Bäcker, der, so beklagte der Staatsanwalt, aufgrund eines »tragischen Irrtums«, dem Verkäufer eines Möbelhauses ein sogar nur kleines Stückchen des Halses mit der Kante seines Spatens ab- und damit den Mann allerdings totgeschlagen und auf diese Weise auch sein eigenes Leben zerschlagen hatte.
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Mark Twain: »Meine geheime Autobiographie«
Hrsg. V. Harriet E. Smith.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Aufbau Verlag, Berlin, 1.129 S., 49,90 €
Geboren wurde er als Samuel Longhorne Clemens. Aufgewachsen ist er etwas nördlich von St. Louis, in dem kleinen Ort Hannibal in Missouri. Berühmt geworden ist er unter seinem Pseudonym Mark Twain, so berühmt, daß man ihn auf seiner letzten triumphalen Welttournee, 1910, kurz vor seinem Tod, in Bombay auf der Straße erkannt haben soll. Mit seinen (fast) unsterblichen Gestalten Tom Sawyer und Huckleberry Finn sind über viele Jahrzehnte hinweg Millionen und Abermillionen von Kindern aufgewachsen. Am Ende seiner Tage diktierte Mark Twain seine Lebensgeschichte. Testamentarisch verfügte er, daß diese Erinnerungen, Anekdoten, Einsichten und Ansichten, die stets auch auf Pointen aus sind und keiner strengen Ordnung folgen, erst hundert Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden dürfen. Mark Twain war sich sicher, daß er nicht vergessen sein wird und daß sein Leben lesenswert bleibt. Und siehe da: Er hat recht behalten.
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Rudolph Wurlitzer: »Zebulon«
RomanAus dem Englischen von Rudolf Hermstein.
Residenz Verlag, Salzburg, 2012, 301 S., 22,90 €
Den Namen kennt man. Tatsächlich stammt der Autor aus jener Familie, die mit der Wurlitzer-Orgel, den berühmten Musik-Boxen, wenigstens zeitweise, reich geworden waren. Den Namen könnte man kennen, weil Wurlitzer tatsächlich das Drehbuch für Sam Peckinpahs Film-Klassiker »Pat Garrett and Billy the Kid« geschrieben hat und weil seine frühen Romane in den siebziger Jahren nicht nur von Thomas Pynchon hoch gepriesen worden sind. 2008 hat er diesen, jetzt ins Deutsche übersetzten Roman »Zebulon« herausgebracht. Einen Western der besonderen Art. Es geht schon mit einem Schußwechsel los. Zebulon schaffte es gerade noch, dem Beil auszuweichen, mit dem Lobo Bill ihn erschlagen wollte. Lobos Frau, die unter Zebulon lag, wurde dagegen getroffen. Mit ihren letzten Worten verflucht sie ihn deshalb: »Von nun an wirst du wie ein Blinder zwischen den Welten treiben, ohne zu wissen, ob du tot oder lebendig bist«. Danach geht es richtig los. Jeden Ausweg, der sich bietet, schießt er sich notfalls frei. Und je weiter wir lesen, desto deutlicher sehen wir den Film, der aus diesem Roman hätte werden können.
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Wsewolod Petrow: »Die Manon Lescaut von Turdej«
Aus Aus dem Russischen von Daniel Jurjew,
kommentiert von Olga Martynova. Nachwort von Oleg Jurjew
Weidle Verlag, Bonn 2012, 126 S., 16,90 €
Allenfalls Kunsthistoriker können diesen Wsewolod Petrow kennen. Er stammt aus einer bekannten Petersburger Adelsfamilie. Auf einem berühmten Bild Ilja Repins von 1903 ist sein Großvater abgebildet. Er selbst war von 1932 bis 1949, unterbrochen von den Kriegsjahren, Mitarbeiter des Russischen Museums. 1946, als er aus der Armee entlassen und nach Petersburg zurückgekehrt war, schrieb Petrow diese Erzählung, hütete sich allerdings vor einer Veröffentlichung. Ein Sanitätszug bewegt sich durch Rußland. Ärzte, Schwestern, Apotheker, verwundete Soldaten irren, scheinbar ziellos, durch das verwüstete Land. Einer der Passagiere, ein Offizier, der, gebildet ist wie er, Goethes Werther liest, auf Deutsch wohlgemerkt, erfindet sich, an Abbé Prévost angelehnt, eine Liebesgeschichte. Wie sehr diese Geschichte in die russische Geschichte des 20. Jahrhunderts eingelassen ist, das erfahren wir, auf ebenso spannende Weise, durch die vereinten Bemühungen der (aus ebenfalls aus Petersburg stammenden) Frankfurter-Literaten-Familie Jurjew/Martynova.
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Gustave Flaubert:
»Madame Bovary. Sitten in der Provinz«
Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl.
Hanser Verlag, München 2012, 759 S., 34,90 €
Die Frau ist wahrscheinlich die berühmteste aller Ehebrecherinnen. Emma Bovary. Sie lebt in der französischen Provinz, ist verheiratet mit einem kleinen Landarzt und (sehn-)süchtig nach Liebe, Lust und Leben. Flauberts Roman erschien erstmals 1857 und provozierte sofort (keineswegs nur wegen einer bemerkenswerten Kutschenfahrt, bei der Emma und ihr Liebhaber das Gefährt zu einem sanften Schaukeln bringen; die Fenster sind durch zugezogene Vorhänge verdeckt) einen Skandal. Es kam zum Prozeß, der Autor wurde wegen »Unmoral« und Gotteslästerung angeklagt. Die jetzt vorliegende Neuausgabe präsentiert neben dem Text erstmals auch die Plädoyers von Anklage und Verteidigung und das Urteil. »Madame Bovary« gilt als Grundbuch der modernen Weltliteratur. Jahrelang, so lange, bis jeder einzelne Satz so war, wie er ihn haben wollte: nämlich perfekt, hatte Flaubert an diesem Buch geschrieben. Ein Original altert nicht. Eine Übersetzung schon. Deshalb müssen die großen Werke der Weltliteratur immer wieder aufs Neue übersetzt werden. Und soweit ich das beurteilen kann, ist diese Übersetzung wohl gelungen.
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Alain Claude Sulzer: »Aus den Fugen«
Roman. Verlag Galiani, Berlin 2012, 230 S., 18.99 €
Der Starpianist Marek Olsberg klappt während eines Konzerts in der Berliner Philharmonie überraschend den Klavierdeckel zu, steht auf und verläßt den Saal mit den Worten »Das war’s dann«. Aber das ist nicht genug. Dieser Akt wirbelt nicht nur das Leben des Pianisten, sondern auch das einiger anderer Menschen mächtig durcheinander. Einige seiner Zuhörer erscheinen nämlich lange vor dem erwarteten Zeitpunkt plötzlich zu Hause. Andere, die, anders als sie behaupteten, gar nicht beim Konzert waren, wissen natürlich auch nichts von dem vorzeitigen Ende. Sulzer erzählt nun alle diese Dramen, die sich daraus ergeben. Er erzählt gekonnt und stilsicher, zudem verschachtelt er die einzelnen Episoden so, daß es bis zum Schluß spannend bleibt. Das Buch zählte – zu Recht – zu den Favoriten des Schweizer Buchpreises 2012. Es liest sich auch, ehrlich gesagt, weg wie nix.