Unter den Türmen zu gemeinsamer Sprache
Tigrin, Tagalog, Pashtu, Farsi – das sind erst vier der 25 Sprachen, die den 16 für das Projekt »Frankfurt Babel« ausgesuchten Mitgliedern des Jungen Schauspiels Frankfurt geläufig sind. Die eine Hälfte von ihnen wurde aus dem Jugendclub des Hauses rekrutiert, die andere aus den Flüchtlingsunterkünften der Stadt. Die 13 bis 23 Jahre alten Teilnehmer zu einer gemeinsamen Sprache finden oder gar mit einer Stimme sprechen zu lassen ist das Ziel dieses von Martina Droste und Chris Weinheimer angestoßenen Theaterversuchs. Die Leiterin des jungen Schauspiels und der freischaffende Musiker, Performer und Regisseur wollen das mit den Jugendlichen am 29. November im Bockenheimer Depot mit der Stückentwicklung »Frankfurt Babel« beweisen
Es sind noch Wochen bis dahin, und es ist die vielleicht sechste gemeinsame Session auf der Probebühne in einem oberen Stock des Schauspielhauses. Geh-, Körper- und Raumerfahrungen stehen an. In variierenden Tempi und Bewegungen erlaufen sich die Teilnehmer das kleine Parkett. »Mir geht es gut!« lautet der Satz, der in der nächsten Übung aufgegeben wird. Im weiten Halbkreis um den Bühnenboden stehend, sind sie gefordert, jeweils allein in die Mitte zu treten und diesen Satz von sich zu geben. Nicht der Reihe nach, nicht auf Kommando, sondern jeder, wenn er sich danach fühlt. »Schau uns in die Augen dabei! Sag es den anderen!«, gibt Martina Droste vor und changiert dabei zwischen Deutsch und Englisch. »Nicht schauspielern! No acting!«.
Nicht nur auf dem Parkett, auch von außen wird deutlich, was für ein gewaltiger Satz das ist: »Mir geht es gut!«, wenn er vis-à-vis oder im Dreierkreis nicht nur gesprochen, sondern nachgerade ausgetragen wird: Wenn die Betonung sich auf das »Mir« verschiebt, wenn die Lautstärke anhebt oder die Haltung sich ändert. Zwischendurch sind die sieben Mädels und neun Jungs plötzlich gefordert, »Mir geht es gut« in all den Sprachen zu sagen, die sie beherrschen. Eine Babel-Erfahrung für jeden, aber keine verwirrende. Englisch ist jetzt am häufigsten zu hören, bevor sie zu »Uns geht es gut« gelangen – noch so ein Hammersatz – und zusammenfinden.
»Sprache grenzt ab, ist aber auch als Grundlage für Verständigung und eine wesentliche Kompetenz für die Zukunft eines jeden hier«, pocht Martina Droste auf die identitätsstiftende Potenz des Mediums. In ihrer Kommunikation mit den jungen Flüchtlingen konzentriert sich die Theaterpädagogin auf deren Talent und Präsenz . »Wir wollen diese wunderbaren jungen Menschen nicht auf ihre Fluchtgeschichte reduzieren, wie das außerhalb dieser Räume geschieht. Sie sind so viel mehr als das.«
Das Projekt »Frankfurt Babel« habe sie mit Chris Weinheimer lange vor dem dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen hierzulande entwickelt. Die Bibel-Parabel (Moses 11, 1-9) dränge sich in dieser Stadt zwar geradezu auf, nun aber stelle man fest dass der Mythos Babel auch in vielen anderen Kulturen verankert sei. »Sie kennen das alle und sind mit Feuer dabei.«
Wie diese Verständigung, eine gemeinsame Sprache, ja sogar vielleicht eine neue Gesellschaft aussehen könnten, finden die Teilnehmer jetzt heraus. Dabei kommt es wesentlich auch auf die hier aufgewachsenen Jugendlichen in der Gruppe an, die in jeder bunten Hinsicht dem Stadtbild Frankfurts entsprechen. Sie zeigen, so denkt man sich, dass es keine Türme, sondern Brücken braucht.