»Varda par Agnès« von Agnès Varda

Agnès Varda ist eine Gründermutter der Nouvelle Vague. Anders als einige ihrer Gründerväter-Kollegen blieb sie indes in ihrer Arbeit offen, neugierig und im besten Sinne experimentell. Nicht, dass es keinen Varda-Touch gäbe, aber selbst wenn sie mit einer Form besonderen Erfolg verzeichnete – wie etwa mit dem Dyptichon »Le bonheur« – versuchte sie mit dem nächsten Projekt – das war damals der Science Fiction-Film »Les créatures« – etwas ganz anderes. Das Kino konnte Agnès Varda so lange lebendig erhalten, weil Agnès Varda so lange das Kino lebendig hielt.

Ihr neues Werk, eine Art filmischer Autobiographie oder auch eine Form von Werkstattbericht, beginnt mit den drei Dingen, die für sie in ihrer Arbeit entscheidend waren: Inspiration, Kreation und ein Prinzip des Teilens, der Gemeinschaft zwischen Autoren und Cineasten.
Am Anfang sieht man das Auditorium eines großen, ehrwürdigen Opernhauses; auf der Bühne ein Regiestuhl mit Vardas Namen, und dann nimmt die Künstlerin mit der ziemlich charakteristischen Frisur Platz und beginnt zu berichten. Wie so vieles in diesem Film ist auch diese Eingangsszene zugleich Dokument und Inszenierung, für sich schon Verwandlung von Leben in Kunst und umgekehrt. Genau besehen ist es auch ein Statement – und ein Witz. Und das macht schon klar. worin der Varda-Touch besteht, nämlich einerseits in einer Art von kritischer Verführung, die Lust am Sehen, die sich immer wieder in eine Lust am (Mit-)Denken verwandelt, und andererseits das traumwandlerische Erkennen der »Filmischkeit« von räumlichen Situationen. Wer’s nicht glaubt, muss den Film einfach weiter ansehen.
Denn hier geht es nicht so sehr um die Person Varda, und schon gar nicht um eine heroische Künstler-Stilisierung, sondern am ehesten um die Einführung in eine Methode, und das führt automatisch zu den Wurzeln der Film-Kunst. Die Inspiration, das ist das Aufnehmen der Welt, ihrer Menschen, ihrer Dinge, ihrer Beziehungen, ihrer Widersprüche mit einem vielleicht ursprünglich cineastischen Blick. Die Kreation selber ist vor allem Handwerk, Organisation, auch Disziplin gehört dazu. Und das Teilen ist ein letztes aber entscheidendes Ziel. »Niemand macht einen Film, damit ihn keiner sieht«, sagt Agnès Varda. Pathetisch könnte man auch sagen: man muss die Menschen lieben, für die man Filme macht.
Und in dieser filmisch aufgelösten »Masterclass« vermittelt die Regisseurin ungeheuer viel von dieser Liebe, sie versteht es wie keine zweite, ihre Zuhörer und Zuschauer für das Kino zu begeistern. Natürlich ist auch für Agnès Varda die große Zeit der Nouvelle Vague und der Kino-Moderne der sechziger und siebziger Jahre längst vorbei, als sich Kino und Leben so direkt begegneten wie nie zuvor und das cineastische »Teilen« mitbestimmend für das Lebensgefühl einer Generation war. Nicht obwohl, sondern gerade weil Varda immer auf der Höhe der Zeit blieb, neue Bild-Theorien und neue, auch digitale Techniken erprobte, musste ihr Publikum zu einer Hardcore-Kunst-Szene schrumpfen.
Dass gerade ihre zauberhafte Film/Liebes-Erklärung »Les cent et une nuits de Simon Cinéma« so desaströs floppte, muss sie durchaus gekränkt haben. Aber kein Wort des Bedauerns und der Bitternis in diesem Film. Er euphorisiert ja nicht zuletzt deswegen, weil wir uns am Ende Agnès Varda als einen glücklichen Menschen vorstellen können.
Und natürlich als einen, der hart und präzis arbeitet. Auch dann, wenn Film und Leben eine scharfe, intime und schmerzhafte Beziehung eingehen, wie zum Beispiel beim Tod ihres Mannes, des Regisseurs Jacques Demy, den sie mit der Kamera begleitete und dem sie mit »Jacquot des Nantes« eine letzte große Liebeserklärung widmete. »Jane B. par Agnès V.« oder »Black Panther« sind feministische bzw. politische Statements, die vor Drastik nicht zurückschrecken.
Die Grenzen der herkömmlichen Kino-Erzählung haben Agnès Varda nie sonderlich interessiert, aber ihre Inspiration lässt sich auch kaum auf den herkömmlichen Begriff von »Realismus« beziehen. Längst hat Agnès Varda das Kino als »Heimat« verlassen, ihre jüngsten Arbeiten haben mehr mit Bildender Kunst, Fotografie und Installation zu tun, als mit dem Kinofilm, und die vorletzte Film-Arbeit (»Augenblicke – Gesichter einer Reise«) ist eine Rückverwandlung von Fotografie in Film. Hier wie auch in »Varda par Agnès« gibt es noch etwas zu bewundern, was selbst in schwärmerischen Texten zu ihrer Kunst oft zu kurz kommt: Agnès Vardas grandioser Sinn für Humor. Ihre Bilder enthalten Poesie, manchmal Zorn, manchmal Zärtlichkeit, oft Reflexion oder Widerspruch, viele von ihnen aber enthalten auch eine visuelle Ironie, eine sanfte Doppelbödigkeit, eine unaufdringliche Pointe. Agnès Varda macht nicht Kunst, Agnès Varda lebt Kunst. Und in diesem Reigen von Erzählung, Zitat, Erinnerung, Dokument, Erklärung, Puzzle und Analyse, in dieser Montage aus Inspiration, Kreation und Teilen, aus dieser Masterclass zum Filmen, die selber zum Filmkunstwerk wird, lässt sie uns daran teilhaben. Wenn man gerade dabei war, Interesse und Liebe zum Film zu verlieren, »Varda par Agnès« gibt einem beides zurück.

Georg Seeßlen
VARDA PAR AGNÈS
von Agnès Varda, F 2018, 115 Min.
Dokumentarfilm
Start: 06.02.2020

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