Ist Palantir tatsächlich der Große Bruder, der uns alle beobachtet oder zumindest beobachten kann, wie es der Titel dieses Films nahelegt? Oder beschützt uns Firmengründer Alex Karp glücklicherweise vor bösen Feinden? Der Dokumentarfilmer Klaus Stern, der sich in »Weltmarktführer«, »Henners Traum« und »Versicherungsvertreter« wirtschaftlichen Emporkömmlingen und deren Niedergang gewidmet hat, ist der Frage nachgegangen.
Ohne sein Faible für verrückte Geschichten hätte es der unkonventionelle Dokumentarist kaum sieben Jahre lang durchgehalten, Material für diesen Film zusammenzutragen. Da ist zum einen die Firma Palantir, die, mit CIA-Mitteln finanziert, seit 2020 börsennotiert ist und von der keiner so genau weiß, was sie eigentlich macht bzw. schon gemacht hat. Geht auf ihr Konto, wie Osama Bin Laden gefunden und getötet wurde? Offiziell wird dies bestritten.
Palantir gleiche einer verschlossenen Auster, befand der gebürtige Nordhesse Stern schon am Anfang seiner Recherche. Und das waren bestimmt keine guten Voraussetzungen für einen Dokumentarfilm. Dennoch ist »Watching You« ein spannendes Zeitdokument geworden, und das liegt am CEO Alex Karp, der zusammen mit Peter Thiel, einem der Start-up-Investoren von PayPal, die Firma gegründet hat. Der an der US-amerikanischen Ostküste aufgewachsene Karp wurde schon als Kind von seinen »Hippie«-Eltern, einem Princeton-Professor und einer Fotografin, auf Friedens- und Streikdemos mitgenommen. Diese »revolutionären« Einflüsse brachten ihn nach einem Stanford-Studium in den 1990er Jahren als Doktorand an das Frankfurter Sigmund-Freud-Institut.
Das war wiederum Sterns Ansatzpunkt, als er von dem Dokumentarfilmer Thomas Giefer auf die absonderliche Karriere eines ehemaligen Neomarxisten hingewiesen worden war. Der habe es mit dem Anspruch, die weltweit wichtigste Software-Firma zu leiten, auf den Titel der Zeitschrift »Forbes« gebracht. Karp hatte sich sich in seiner Zeit in Deutschland mit Giefer angefreundet, weshalb diesem die Aufgabe zufällt, im Film einen Einblick in die Person des jugendlichen Exzentrikers zu geben. Karp habe ihn mit großer Zigarre an Groucho Marx erinnert.
Der aktuelle Dr. Karp weicht persönlichen Auskünften geschickt und freundlich aus. Eine neue Situation für Stern. Durfte der vertrauenswürdige Dokumentarist in seinen bisherigen Filmen die Protagonisten in entscheidenden Situationen mit seiner Kamera begleiten, leidet er diesmal an Materialknappheit. Und darum ist »Watching You« sein persönlichster Film geworden. Denn Stern zeigt eingehend, wie er sich seinem »Opfer« zu nähern versucht und vertröstet wird, wie er von dem Willen angetrieben wird, seinen Protagonisten kennenzulernen und wie er dessen offenkundige Widersprüche zu erkunden versucht.
Der Palantir-Chef erfüllt nicht das Zerrbild eines unsympathischen Kapitalisten. Dafür steht auch der Name Palantir, der aus Tolkiens »Herr der Ringe« stammt und dort die »sehenden Steine« bezeichnet, und der Name des Software-Programms »Gotham«, mit dem unvorstellbare Datenmengen analysiert werden können. Effizienter werden damit alle möglichen Geschäftsmodelle, militärische Organisationen, auch die Verteidigung der Ukraine. Und vor allem können Anschlagsgefahren früh erkannt werden. Er habe die westliche Welt schützen wollen, hat Karp als sein Motive angegeben. Dass mittlerweile auch die hessische Landesregierung ein Palantir-Kunde geworden war, stieß hierzulande auf Datenschutz-Bedenken. Denn um die Bösen zu finden, müssen auch die Guten durchleuchtet werden. So erscheint der Überwachungsstaat China am Horizont.
Stern erörtert das Problem von allen Seiten. Zu den Vorzügen von »Watching You« gehört, dass der aufschlussreiche Film keine belehrende Mahnungen benötigt.