Bekannt geworden ist er als Chansonnier (»Wie mei Herzschlag g’hörst zu mir«), als Kulturvermittler, Aktionskünstler und in weiteren Rollen. In jungen Jahren hat man ihn ein Multitalent genannt, was für den heute 72-Jährigen ziemlich respektlos klingen würde. Doch immer noch steht fest: André Heller passt in keine Schublade. Und genauso wenig lässt sich der Film, den Rupert Henning nach Hellers autobiographischen Roman gedreht hat, einem Genre zuordnen.
»Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein« ist eine Groteske, die Entwicklungsgeschichte eines Jungen aus großbürgerlicher Familie, das Loblied auf die Phantasie, das man von diesem Autor erwarten kann, und manchmal auch ein anrührendes Drama. Ein ungewöhnlich langer und zugleich ein ungewöhnlich kurzweiliger Film, dessen Ende überraschend kommt – so schnell können 140 Minuten vergehen.
Denn das Schicksal des zwölfjährigen Paul Silberstein im Wien der späten 50er-Jahre, den Valentin Hagg glaubwürdig verkörpert, wird vor allem durch dessen phantasievolle Verarbeitung interessant. Wie anders kann man auch einen ultrastrengen Vater (Karl Markovics) ertragen.
Die Silbersteins bewohnen ein altes Palais, in dem für den kleinen Paul genug Platz wäre. Doch das »merkwürdige Kind« wird vom Vater in ein katholisches Internat geschickt, wo er zu einem gottesfürchtigen Mann, »mindestens Kardinal«, gemacht werden soll. »Ich erwarte, dass du unter keinen Umständen scheiterst«, spricht der Papa, seines Zeichens Kommerzialrat, Ritter der französischen Ehrenlegion, römischer Commandatore und Großritter vom Heiligen Grab. Wem das bei dem jüdischen Familiennamen merkwürdig vorkommt, der wird aufgeklärt: Roman Silberstein ist zum Katholizismus konvertiert. Aus dem Exil nach Österreich zurückgekehrt, will er sich an den Altnazis rächen, die ihn seinerzeit zur Emigration gezwungen haben. Bei diesem Vorhaben ist er allerdings zu einem generellen Verächter der Menschheit geworden, unter dem seine Frau (Sabine Timoteo) und seine beiden Söhne am meisten leiden müssen.
Im Internat wird das Leben für Paul nicht leichter. Seine Erzieher predigen Distanz zu den Menschen, zu Mädchen besonders. Nur Jesus darf man sich zuwenden, und das wird rigide durchgesetzt. Immerhin belassen es die Patres bei seelischer Grausamkeit – aktuellen Trends verweigert sich der Film.
Stattdessen bestimmen ihn Ambivalenzen: Das Wiener Großbürgertum der 50er-Jahre ist alles andere als ein idealer Ort, aber ein Quell schräger Anekdoten. Ebenso verhält es sich mit Pauls Kindheit. Einerseits muss der Junge einiges aushalten, andererseits befeuert ihn das, in das Reich seiner Phantasie zu flüchten, und wird das Fundament seiner Persönlichkeit. Denn wenn es in diesem unterhaltsamen Irrgarten ein Ziel gibt, ist es die Entwicklung einer eigenständigen, nicht von Facebook bestimmten Persönlichkeit.