Flapper, Gendernauten, Hebammen, Landfrauen, und 9/11-Putzfrauen: auch im 3. Remake-Frauenfilmfestival präsentieren die Macherinnen historische und aktuelle Filme von und über Frauen und huldigen ihrer Leidenschaft für analoges Kino
Die »Frauenfrage«, schrieb die Sozialdemokratin Lily Braun zur Wende zum 20. Jahrhundert, »ist zwingend die Frage nach ›der wirtschaftlichen Lage der Frau‹ und den ›ökonomischen Thatsachen‹«. Diese stehen nun im Zentrum des dritten »Remake«-Festivals. Nach den Schwerpunkthemen Frauenwahlrecht zum Festival-Einstand 2018, gefolgt von »HerStory« – dem weiblichen Blick auf die Welt und ihre Geschichten – 2019, geht es in der dritten Auflage des erfolgreichen Festivals nun um Arbeit und Geld. Es geht also gewissermaßen ums Eingemachte, um ein Schlüsselthema der Frauenbewegung.
Dabei wird gerade im Gegenwartskino die Arbeit von Frauen, aber auch das Thema Verarmung ausgeblendet. Ausnahmen wie »Nomadland« bestätigen die Regel. Und dies, sagt Mitveranstalterin Gaby Babic, obwohl gerade in Corona-Zeiten prekäre Arbeitsverhältnisse wieder in den Blick rücken, etwa »gefragt wird, wer eigentlich dafür sorgt, dass die Regale im Supermarkt aufgefüllt werden«. Das Bild von arbeitenden Frauen aber, sofern sie filmisch überhaupt noch repräsentiert sind, wird im gegenwärtigen Mainstreamkino von großstädtischen Glamourgirls dominiert. Dabei beweisen die von Babic und ihren Mitstreiterinnen ausgegrabenen Filme, wie genau und scharfsinnig gerade Regisseurinnen von der Frühzeit des Lichtspieltheaters an, die vielfältigen Formen weiblicher Arbeit und damit Sein und Bewusstsein eines Frauenlebens beleuchtet haben.
Und eben das ist die Mission der Kinothek Asta Nielsen e.V., einer bundesweit einzigartigen Einrichtung, aus der heraus die Idee für dieses Festival entstand. Der Schwerpunkt des u.a. von den Filmwissenschaftlerinnen Heide Schlüpmann und Karola Gramann gegründeten und von Gaby Babic geleiteten Frauenfilmarchivs liegt in der Sammlung sogenannter »grauer Literatur« zur Frauen-Film-Arbeit der 70er und 80er Jahre und auch analoger Filme aus jener Zeit. Doch »Filme existieren nur in der Aufführung, das Zeigen selbst ist eine Form des Filmemachens, ein Re-Make«, so die Prämisse. Das Sichtbarmachen weiblicher Filmarbeit ist verbunden mit dem Anspruch, die Filme möglichst im Originalformat aufzuführen, sei es 35 mm, 16 mm, Super-8 oder eben digital – und, bei Stummfilmen, mit Live-Musikbegleitung.
Das herausragende Event des Festivals ist das CineConcert im Schauspiel Frankfurt, wo der Stummfilm »Shoes« (1916) von einem dreiköpfigen Orchester mit einer eigens dafür komponierten neuen Musik der Niederländerin Maud Nelissen aufgeführt wird. Filmpionierin Lois Weber beschreibt darin anhand des Alltags eines »Ladenmädchens« das damals neue Phänomen junger unverheirateter Frauen, die auf den Arbeitsmarkt drängten. Weiterentwickelt, und konterkariert wird die Tristesse des Überlebenskampfes eines »shop girls« im Stummfilm »It« (Das gewisse Etwas, 1927), ebenfalls live begleitet von Pianistin Maud Nelissen. Regisseurin Clarence Badger installierte mit ihrem Erfolgsfilm mit der kessen Verkäuferin Betty Lou das »flapper girl« als weibliches Vorbild und machte Clara Bow mitsamt ihrem rot gefärbten Bubikopf zum Hollywood-Star.
Die Bandbreite von Working-Girl-Filmen umfasst etwa auch den Dokumentarfilm »Coalmining Woman« (1982) über Frauen, die sich das Recht auf den Beruf der Bergbauarbeiterin erstritten, und »Ahorita Frames« (2021), ein Porträt jener illegaler mexikanischen Putzfrauen, die in den Trümmern von 9/11 im Auftrag eines Asbestentsorgers Aufräumarbeit leisteten. Die »unsichtbare Arbeit«, also Hausarbeit und Kinderkriegen, wird u.a. im britischen Kampagnenfilm »All Work and No Pay« (1976), gedreht von einem feministischen Filmkollektiv, in den Fokus gerückt. »A la vie« (2020) ist ein Porträt der Hebamme und feministischen Aktivistin der ersten Stunde, Chantal Birman. Eine »tolle Wiederentdeckung« sagt Babic, sei auch »Landfrauen. Drei Generationen auf einem Hof« (1978) von Roswitha Ziegler, eine TV-Produktion, von der es keine Vorführkopie mehr gab und die als »Digitalisat« wiedererweckt wurde. Babics persönliches Highlight ist ein »Baustellenliebesfilm«, der Festival-Abschlussfilm »Die große weite Welt erkennen«, den Kira Muratova 1978 in Sowjetrussland drehte und in dem mitten auf einer Großbaustelle eine Putzerin zwei Männer liebt.
Über 30 Lang- und Kurzfilme, die, abgesehen von »Shoes«, im Kino Pupille in der Uni aufgeführt werden, umfasst das Programm, erweitert wie schon in den Vorjahren von Filmen, die, bis in den Februar 2022, als Remake On Location an anderen Spielorten zu sehen sind. Dazu zählt die Kinopremiere eines restaurierten Avantgarde-Apokalypsedramas aus Wien, »Rote Ohren fetzen durch Asche« (1991) in Super-8, und »Be Natural: The Untold Story of Alice Guy-Blaché« (2019), ein Dokumentarfilm über eine Filmpionierin, die ihre Karriere 1896 als Sekretärin bei Gaumont begann. Brandneu sind z.B. die Filme »First Cow« (2019), ein Alternativ-Western von Kelly Reichardt, und der Dokumentarfilm über die Entwicklung der genderqueeren Szene in San Francisco, »Genderation« (2021), in dem Regisseurin Monika Treut an ihren berühmten Film »Gendernauts« (1999) anknüpft.
Wie gehabt werden die Filme von Textlesungen, Vorträgen und Gesprächen eingerahmt. Zu den Gästen gehören u.a. Regisseurinnen wie Roswitha Ziegler (»Landfrauen«), Heike Misselwitz (»Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann«), Angelika Levi (»Ahorita Frames«), Monika Treut (»Genderation«) und Ingemo Engström (»Kampf um ein Kind«). Die Corona-Pandemie hat die Planung des Festivals, das im zweijährigen Turnus fortgeführt wird, insofern beeinflusst, sagt Babic, dass »einige internationale Gäste abgesagt haben, weil sie vorsichtshalber noch nicht reisen wollten, leider auch Lizzie Borden«, die mit dem Sexarbeiterinnen-Drama »Working Girls« (1986) vertreten ist.
Zum Konzept von »Remake« gehört die Rückschau auf die Geschichte feministischer Festivals: so werden in diesem Jahr die Erstausgaben der »Feminale« (1984) in Köln und des »femme totale-Festivals« (1987) in Dortmund gewürdigt, mit Kurzfilmprogrammen und einer Podiumsdiskussion mit den Gründerinnen von damals.
Ein besonders Schmankerl ist eine Reihe von Hotelfilmen, mit denen der renommierten Filmschriftstellerin Frieda Grafe (1934-2002) Hommage erwiesen wird – ausgehend von ihrem Text »Die saubere Architektur in Gefahr. Die Grandhotels in der Unterhaltungsindustrie« (1990). In dieser Reihe, einer Nische für männliche Regisseure, finden sich Komödien wie Billy Wilders »Avanti, Avanti!« (1972), »Double Whoopee« (1929) mit Laurel & Hardy, und Fritz Langs letztes Werk »Die tausend Augen des Dr. Mabuse« (1960).
Birgit Roschy
Foto: SHOES (USA 1916, R Lois Weber)
© Eye Filmmuseum
Vom 23.11.–28.11.2021
www.remake-festival.de