Städelmuseum: »Nennt mich Rembrandt!« folgt dem Aufstieg des Malers

Wenn das mal kein historischer Materialismus ist! Die neue Städel-Ausstellung »Nennt mich Rembrandt! Durchbruch in Amsterdam« spürt dem Werdegang des niederländischen Meisters mit Blick auf die soziokulturellen Bedingungen seines Schaffens im Holland des 16. Jahrhunderts nach: den Aufstieg der Niederlande zur Welthandelsmacht im Allgemeinen wie den Kunstmarkt in dessen Hauptstadt im Besonderen. Nicht der Genius des jungen Leideners Rembrandt Harmenszoon van Rijn, sondern die Welt, in der sich sein keineswegs infrage gestelltes Talent erst richtig entfalten konnte, bildet den Schlüssel der von Jochen Sander kuratierten Hängung.
Die um ein Jahr verspätete Schau lädt mit historischen Landkarten und ersten Genrebildern zum Rundgang ein. Sie spiegeln nicht nur die rasante Entwicklung des sein Hinterland mit Stockfisch versorgenden Hafenstädtchens mit 30.000 Einwohnern (1580) zur Weltmetropole des Handels mit 200.000 Einwohnern wieder, sondern auch das strotzende Selbstbewusstsein eines sich von der spanischen Vorherrschaft befreienden – und, wie wir schon bald erfahren, sich als auserwählt betrachtenden Volkes. Kurzum: Es brummte nur so in der Boomtown, und mit dem wachsenden Reichtum seiner Bürger brummte der Kunstmarkt auch. Nicht mehr nur der Hof, sondern auch der Bürger legte sich statusbewusst Bilder zu.
Erst in Amsterdam hat sich der um 1631 im Alter von 25 Jahren übersiedelte Maler dazu entschlossen, seine Briefe, Bilder und Dokumente nur noch mit dem Vornamen zu signieren. Ein Schritt, der nicht nur sein großes Selbstbewusstsein, sondern auch eine Einsicht in die Gesetze des Markts verrät. Gegen die zahlreiche Konkurrenz kreierte sich Rembrandt, der relativen Seltenheit seines Vornamens bewusst, mit seiner Signatur als Marke. Ein Jochen, meinte Kurator Sander zur Eröffnung, wäre wohl zu konventionell gewesen.
Die kuratorische Interesse gilt ganz wesentlich den Strategien Rembrandts, sich in diesem sozialen und wettbewerblichen Umfeld zu behaupten und schaut dabei dem »Hausheiligen«, so Städel-Direktor Philipp Demandt mit Blick auf die insgesamt 259 Werke Rembrandts im eigenen Museumsbestand, »über die Schulter«. Von den 40 gezeigten Originalen stammen 32 aus dem eigenen Haus, darunter selbstverständlich »Die Blendung Simsons«. Dazu kommen 93 Leihgaben aus aller Welt. Die Dresdener Gemäldegalerie steuert dazu ihren »Raub des Ganymed« bei, mit Sicherheit eines der am meisten umlagerten Exponate.
Es geht in dieser Schau um die markanten Unterschiede, die der malerische Alleskönner in seinen Porträts, Landschaften, Historien- und Genrebildern erkennen lässt und die das Museum mit einer Vielzahl von Arbeiten seiner zeitgenössischen Mitbewerber und Kollegen visuell konfrontiert. Dabei tritt nicht nur Rembrandts stete Lust, Neues zu erkunden hervor, sondern auch das von ihm selbst als Grundlage seines Schaffens bezeichnete Bestreben nach »Natürlichkeit und Lebendigkeit«. Ein wunderbares Beispiel dafür ist sein vom Auftraggeber zurückgewiesenes Porträt der Gräfin Solms, die Rembrandt in schlichten Farben als Bürgerin malt. Dem Bild ist eine herkömmliche Arbeit durch Künstlerkollegen xy beigesellt. Es wird versichert, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt. Der von der Angst gepackte kleine Ganymed, der zu Boden gefallene Handschuh des jungen Adligen und die schmerzverkrampften Fußzehen des Simson sind nur drei von vielen hier zu entdeckenden Details der Markenqualität Rembrandts. Wer sich darauf vorbereiten will, wird vom Städel digital rundumsorgt. Mit dabei ist ein ungewöhnlicher Podcast zum Simson-Gemälde. Es lohnt sich.

Lorenz Gatt (Foto: Eke Estel/ Hans-Peter Kluth)

Bis 30. Januar: Di., Mi., Fr.–So. 10–18 Uhr; Do., 10–21 Uhr
www.staedelmuseum.de

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