Im Staatstheater Wiesbaden tobt »Die Schlacht am Mackie Creek«

In Big Cherry, einem amerikanischen Städtchen fernab der Metropolen, tagt der Stadtrat. Der Neue im Gremium, der zugezogene Mr. Peel, ist frühzeitig da. Schließlich hat er etwas nachzuholen; wegen der Beerdigung seiner Mutter hat der Zahnarzt die jüngsten Entscheidungen verpasst. Die anderen Mitglieder treffen nach und nach ein, schütteln die Nässe aus ihren Regenschirmen, kondolieren und lassen sich zu einer scheinbar alltäglichen Sitzung nieder. Es wird über die Vergabe eines freigewordenen Parkplatzes diskutiert, über gestohlene Fahrräder und darüber, inwiefern das Denkmal des verehrten Ortsgründers, Otto Pym, zu einem barrierefreien Springbrunnen umgebaut werden soll.
All die Eigenheiten treten hervor, die jeder kennt, der schon mal einer ähnlichen Zusammenkunft beiwohnte: Eitelkeit, Neid und Heuchelei. Doch irgendetwas stimmt nicht: Mr. Carp ist verschwunden, und anfangs will niemand darüber reden, warum der Kollege dem Ausschuss nicht mehr angehört.
Tracy Letts‘ Theaterstück »The Minutes«, benannt nach der Bezeichnung für ein Protokoll, fängt harmlos an. Doch, wie der Untertitel »Die Schlacht am Mackie Creek« vermuten lässt, wird es Turbulenzen geben. Der auch als Schauspieler bekannte Pulitzer-Preisträger, der die begehrte Auszeichnung für sein auch erfolgreich verfilmtes Werk »August: Osage County« erhielt, deckt in diesem exemplarischen Fall die hinlänglich bekannte Geschichtsfälschung auf, die mit der Besiedlung der Neuen Welt durch die Europäer verbunden ist. Regisseurin Daniela Kerck gibt ihrer Inszenierung im Kleinen Haus des Wiesbadener Staatstheaters einen schnörkellosen, steifen Rahmen: Ein paar Stühle, im Halbkreis aufgestellt, dahinter ein Panoramafenster und ein Schreibtisch für die Protokollantin Ms. Johnson (Lena Hilsdorf) reichen in der deutschen Erstaufführung aus, um in 105 intensiven Minuten unaufhaltsam und, trotz des vermeintlich trockenen Inhalts, durchweg spannend dem Höhepunkt und der Auflösung entgegenzustreben.
Der angebliche weiße Held, der mit einem kleinen Grüppchen an Kavalleristen einer Übermacht der heimischen Indianer standgehalten und ein von den »Wilden« entführtes Mädchen mutig gerettet haben soll, entpuppt sich als Killer, der zahlreiche Frauen und Kinder der Ureinwohner auf dem Gewissen hat. Derjenige, der dieses Geheimnis enthüllt, wird in der Gemeinde aus der Verantwortung genommen. Eben dieser Mr. Carp (Uwe Kraus) bekommt seinen eindrücklichen Auftritt dank einer Rückblende, die das unablässige Bohren Peels (Lukas Schrenk) nach sich zieht. Die improvisierte Darstellung der Lüge zuvor, mit Regenschirmen als Schusswaffen, haucht der Legende auf amüsante Weise Leben ein und durchbricht befreiend die streng geregelte Tagesordnung.
Weiterer Raffinessen bedarf es nicht, um mit einem präzise agierenden Ensemble deutliche Parallelen zu ziehen zwischen der Verherrlichung einer längst vergangenen Epoche und der gerade erst überstandenen Regierungszeit eines Präsidenten, der sich nicht weniger die Welt nach eigenem Geschmack zurechtgebogen hat, ohne dass dies ausdrücklich angesprochen wird. Wer genau hinhört, findet allein schon in den Namen der Beteiligten zahlreiche Anspielungen. Aber auch oberflächlicher betrachtet, entwickelt das fein gestrickte Drama seinen Reiz.

Katja Sturm (Foto: © Karl und Monika Forster)

Termine 11., 12., 22. März, jeweils 19.30 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de

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