Historisches Museum Frankfurt: Ein einfach wunderbarer und wunderbar einfacher Ausstellungsführer

Die intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt, die das Historische Museum Frankfurt (HMF) noch bis 11. September zeigt, ist nicht nur eindrucksvoll, sondern auch bisher beispiellos in Deutschland. Frankfurt gehörte zwar nicht zu den Führerstädten (Berlin, München, Nürnberg, Hamburg und Linz) des Reiches, hatte es nach der Machtübernahme 1933 besonders eilig, sich dem neuen herrschenden Geist zu fügen, weil man als eine bis dahin als liberal und weltoffen geltende Stadt mit der größten jüdischen Gemeinde im Land vieles gutmachen zu müssen glaubte. Wie das ging und wie es sich in die städtische Physiognomie brannte, ist das große Thema der Schau, einschließlich der Spuren, die es hinterließ. Dass ein so umfassendes Thema nicht als erschlagend empfunden werden muss, demonstriert das Stadtmuseum mit dem wunderbaren Heftchen »Themen Tour 33–45« im Gesäßtaschenformat.
Das kleine Heft listet zunächst die unterschiedlichen Zugriffe der drei Abteilungen des HMF (Stadtlabor, Junges Museum und Museum) auf, lädt dann aber mit einer Auswahl von 35 exemplarischen Exponaten zum großen Rundgang über drei Ebenen der mit »Frankfurt Einst?« überschriebenen Hauptschau. Den Anfang (Bild1: Eschenheimer Gasse) macht dabei ein Gemälde von Hans Scheil, das die prompte Beflaggung der Frankfurter Straßen mit Hakenkreuz- und Reichsbannerfahnen noch am Tag der Wahlen vom 12. März 1933 festhält, als die NSDAP 47,9 Prozent der abgegebenen Stimmen in der Stadt einfuhr. Am Tag zuvor hatte der sofort abgelöste und dann wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgte Bürgermeister Ludwig Landmann noch die Beflaggung des Römers untersagt. Dass Frankfurt nun von Hitler zur »Stadt des Deutschen Handwerks« erkoren wurde, wird auf Bild 4 mit einigen Dutzenden der Innungsembleme demonstriert, die ein »Brunnen des Deutschen Handwerks« schmücken sollte, der aber nie gebaut wurde. Schritt für Schritt und Bild um Bild führt dieser kleine Leitfaden durch die Historie, etwa zu den Stoffherzen, die die Frankfurter Widerstandskämpferin Johanna Kirchner vor ihrer Hinrichtung in Plötzensee in ihrer Zelle fertigte (Bild 7), aber auch zu Häftlingskleidung aus dem Arbeitslager Katzbach (Bild 10) oder dem Folterinstrument »Boger-Schaukel« (Bild 16). Das Ende der Ebene 1 personifiziert mit Porträts unter anderen des in Frankfurt überlebende Kameruners Theodor Wonja (20), der Fotografin Liesel Simons (21) und Marcel Reich-Ranickis (22) die Geschichte. Auf Ebene 2 wird im Bereich »Kommunikation« mit dem Mythos der Autobahnerfindung aufgeräumt und den Bücherverbrennungen nachgegangen, ein »Studierzimmer« konfrontiert hier außerdem mit nationalsozialistischer Raubkunst am Beispiel des Unternehmers Harry Fuld. Auf Ebene 3 öffnet sich die »Bibliothek der Generationen«, ein mit einer Laufzeit von 105 Jahren bis ins Jahr 2105 angelegtes generationenübergreifendes Projekt, für das schon über 100 Personen Beiträge verfassten. Es thematisiert unmittelbare subjektive Erinnerungen aus der Kindheit, an die Flucht, den Widerstand oder an erfahrene Gewalt, andere halten vor allem familiäre Situationen und die Erfahrung der Aufarbeitung oder Nichtaufarbeitung in der Nazizeit in den deutschen Familien schreiben. Gründe genug, mehr als einmal zu kommen. Noch ist Zeit dafür. Lorenz Gatt.

Lorenz Gatt (Foto: Häftlingskleidung, © KZ Gedenkstätte Sandhofen)

Bis 11. September 2022: Di., Do. Fr. 10-18 Uhr; Mi. 10-21 Uhr, Sa., So. 11-19 Uhr
www.historisches-museum-franfurt.de

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