Typisch Krüger: eine etwas skurrile Geschichte, mit leichtem Augenzwinkern und vorsichtiger Berufung auf Nikolai Gogol, schwungvoll erzählt. Der langjährige Hanser-Verleger, der Lyriker, Kritiker, Herausgeber, gelegentlich auch Übersetzer und immer mal wieder auch Erzähler, ist als Autor seit vielen Jahren beim Suhrkamp Verlag zu Hause. Er geht unterdessen zügig auf die Achtzig zu und bleibt doch produktiv wie eh und je. Sein Held und Ich-Erzähler in dem neuen Buch, natürlich im Kulturbetrieb tätig, betrachtet dieses Geschäft ebenso liebevoll wie ironisch.
Der Titel sagt eigentlich schon alles. Ein Ich-Erzähler wartet auf dem Flughafen Paris Orly auf seinen Rückflug nach München. Ein älterer Mann, »mit Tüten im rechten Arm und einem Rollkoffer an der linken Hand«, steuert zielstrebig auf den freien Sitz neben ihm zu. Auf keinen Fall möchte er mit ihm in Kontakt kommen. Rasch wirft er seine »zerfledderte Reisetasche auf den linken, den Mantel auf den freien rechten Sitz«. Doch zu spät, so dreist, wie der Alte den Mantel wegräumt und sich neben ihn setzt, so dreist wird er sich in sein Leben drängen und ihn nicht mehr loslassen. Der Flug wird gestrichen, die Passagiere müssen im Hotel übernachten. Wie selbstverständlich setzt sich der eigenartige, übergewichtige Alte in der Hotelhalle neben ihn. Seine »Kleidung sah zwar abgewetzt aus, stammte aber, wie ich an den Etiketten gesehen hatte, aus den besten spanischen Modehäusern«. Nicht nur hatte der Alte seine Geldbörse mit allen Karten verloren, sondern es war »durch seine schiere Anwesenheit etwas in mir zerbrochen«. In München angekommen, macht sich das »Rätsel von Mensch, dessen Name und Herkunft ich nicht kenne«, in seiner Wohnung breit. Der Ich-Erzähler ist Geschäftsführer einer Künstleragentur, die er zusammen mit seiner Cousine führt, die in Paris lebt.
Ana, eine seiner beiden Angestellten in München, versteht sich zu seinem Erstaunen mehr als nur gut mit dem »Pariser Mitbringsel«. Der rätselhafte Alte telefoniert mit Gott und der Welt und selbst in der Münchner Gaststätte, in der sie essen gehen, begrüßen ihn viele freudig und scheinen ihn zu kennen. Wir erfahren allerdings auch, was dem Erzähler so durch den Kopf geht und was er anschließend alles in einem Büchlein notiert.
Michael Krüger hat schon früh, von seinen ersten Geschichten an (»Was tun?« 1984, »Warum Peking?«, 1986) einen sehr eigenen, unverkennbaren und dabei stets leichten Ton gefunden: eine Mischung aus sanfter Ironie und Geistesblitzen, Witz, wilden Gedanken, und meist etwas abseitigen Handlungen.
Über Jahrzehnte hinweg ist er sich da treu geblieben. So träumt er sich jetzt auch auf eine Insel, vor sich auf dem Tisch liegt ein Buch, » in dem gelegentlich ein milder Wind blätterte, um einige der (natürlich ausschließlich von mir verfassten) Gedichte zu befreien und über das Meer in die Welt zu tragen.« Weniger poetisch sind seine Gedanken über den Sperrmüll, den die Leute vor die Tür stellen, »diesen Ausstülpungen fremder Leben.« Oder die gelben post-it-Zettelchen, die aussehen, » als wäre ein Schwarm Zitronenfalter in unsere Arbeitsräume eingefallen.« Der Alte nimmt nicht nur immer mehr von der Wohnung in Besitz und verwandelt sie in ein »chaotisches Gebilde«, sondern sie nimmt auch seinen unangenehmen Geruch an. Machtlos ist der Erzähler auch dem Redeschwall des Alten ausgesetzt. Trotz der Geduld und der Gastfreundschaft droht der Alte: »Es wird die Stunde kommen, in der Sie darum flehen, dass ich wieder zurückkomme.«
Es bleibt eine vertrackte Situation. Unser Erzähler, höflich und wohlerzogen, ist den Lügen des Alten machtlos ausgeliefert. Als der Alte unterwegs ist, verfrachtet er kurzerhand dessen wenige Habseligkeiten zu einer über ihm wohnenden Witwe, die ihm ein Zimmer für 1000 € überlässt. Unter der Matratze des jetzt leeren Bettes, findet er »einen Packen von Schriftstücken verschiedener Art in verschiedenen Sprachen, auch fünf Postkarten, alle zerknickt und zerknautscht und von Falten durchzogen.« Die Karten sind an einen Gregor Schlag und Gregor von Schlag-Swetschikow gerichtet. Der Erzähler ist zutiefst verunsichert. »Etwas mehr als zwei Wochen waren seit meiner Rückkehr aus Paris vergangen, schon kannte ich mein Leben nicht wieder«. Michael Krüger hat wieder einmal eine aberwitzige Erzählung geschrieben mit vielen ungewöhnlichen, schrägen Typen, aber speziell über einen, »Schuldenmacher, Hochstapler, Tunichtgut«, der ihn doch irgendwie fasziniert und dazu bringt, sich und seine Welt in Frage zu stellen. Der Fortgang der Geschichte führt, durchaus handfest, in jene höheren Sphären, die man einst über uns wähnte
Sigrid Lüdke-Haertel (Foto: © Suhrkamp Verlag/Meinen)
Michael Krüger: »Was in den zwei Wochen nach der Rückkehr aus Paris geschah«
Eine Erzählung.
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2022, 219 S., 22 €