Édouard Louis ist ein Modeautor des gegenwärtigen Theaters auch in den Ländern deutscher Sprache – obschon er nicht einen originären Theatertext geschrieben hat. Mit der Premiere einer Bearbeitung seines Debütromans »Das Ende von Eddy« (2014) durch Jan Friedrich (auch Kostüme) liegt nun an den Stadttheatern im Rhein-Main-Gebiet gleichsam eine Teatralogie an Stücken nach dem Franzosen vor, mit »Die Freiheit einer Frau« (Wiesbaden), »Wer hat meinen Vater umgebracht»« und »Monique bricht aus« (beide in Frankfurt, dort in der Box im Übrigen auch »Das Ende von Eddy«).
Und die Texte des französischen Erfolgsschriftstellers lohnen es, selbst wenn sich literaturkritisch betrachtet seine bislang sechs Bücher ins derzeitige literarische Serienwesen (Karl Ove Knausgård, Elsa Ferrante) fügen – Aufbau einer seriell bespielbaren literarischen Welt, wo doch der eine umfassende Roman allein der Vermeidung von Momenten der Redundanz die bündigere Form wäre.
Wie auch immer – dieser Abend ist ein starker. Die finstere Gedrängtheit um die beidseitig bespielbare, an eine Fotografie des Elternhauses von Édouard Louis angelehnte rußschwarze Ruinenkonstruktion von Louisa Robin, umgeben von einem knallig lackvorhang-poppiggelben Raum, steht für die Enge der Welt eines Dorfes in der nordfranzösischen Picardie, in dem Eddy früh schon durch ein Anderssein, ein Abweichen von der Männlichkeitsnorm des »echten Kerls« auffällt.
In einer Szene nach der Pause schildert der Erzähler, dass die Absagen für das Manuskript auf der Begründung fußten, derart viel Armut, derart viel Gewalt mitten in Frankreich, das könne nicht angehen – formuliert von Verlagsleuten, die so weit entfernt von der sozialen Wirklichkeit entfernt verortet sind, dass sie sich derlei nicht vorstellen können. Die früh erkennbaren Zeichen der Homosexualität Eddys führt zu einer fehlenden Akzeptanz, auch seitens der Familie. Samt Zurückweisungen und Prügeln, wenn auch nicht vom Vater – Johannes Schmidt als grobschrötiger Kahlschädel im Unterhemd –, einem Sauf- und Raufbold, gegen dessen Arme-Leute-Ehrbegriff es jedoch ginge, Hand an die Familie zu legen. Entgegen den Widerständen findet Eddy schließlich seinen Weg des Entkommens.
Das Haus wird nicht zum Ort eines abbildhaften Realismus, vielmehr ist der Ansatz ein modellhafter, mit einer Art von Prototypen, unter strikter Meidung von Klischeekitsch. Armut gebiert Ungeheuer, lässt sich als eine Weisheit des Abends verbuchen.
Stark ist in diesem epischen Theater frei nach Brecht die (von der Prosavorlage übernommene) Position der autofiktionalen Erzählerfigur. Hier ist diese Instanz, die bei Édouard Louis eine in ihrem nüchternen Blick soziologische Einordnung leistet und das Geschehen kommentiert, auf die Spieler von vier Rollen – Friedrich Brückner, Leandra Enders, Lennart Klappstein, Benjamin Kaygun – aufgeteilt, was sich als gescheiter Kunstgriff im Sinne einer Distanz des Erzähltons zeigt. In Summe sinnstiftend angewandt die althergebrachte Technik des Livevideos mit Bildern von einem Geschehen hinter der Bühne oder Großaufnahmen.
Die Mienen, die Körperhaltungen sprechen eine deutliche Sprache, etwa die »Mir kann keiner was«-Haltung des Vaters, ohne Absturz in die Karikatur. In der stämmigen Mutter – Stephanie Kämmer – trifft sich die resignativ herausgegeiferte Wut über ihr »Scheißleben« mit einem sich in einem unverhohlenen Rassismus niederschlagenden Arme-Leute-Stolz darüber, dass es immer noch wen gibt, der im sozialen Gefüge unter ihnen steht. Gleich wie stilisiert die Gewalt sein mag, schonungslos stellt sie sich dar, darüber nicht klebrig betroffenheitsheischerisch.
Auch am Staatstheater Mainz gibt jetzt Éduard Louis »Das Ende von Eddy«
