Ihre aus drei experimentellen halbdokumentarischen Kurzfilmen komponierte Schau hat die 1993 in Japan aufgewachsene französische Künstlerin eigentlich nur präsentieren können, weil sie neugierig war: neugierig aufs Leben. Ihre Neugier und Empathie verbindet sie mit Gruppen, die aus dem gesellschaftlichen Rahmen fallen, die gleichzeitig Entdeckungen für sie bereithalten aber auch Konfrontation. In Japan, sagt sie im Gespräch mit der Kuratorin und Museumsleiterin des MMK, Susanne Pfeffer, verstecken sich die Menschen, die obdachlos sind, spielen aber der Gesellschaft ein funktionierendes Leben vor. Sie haben kein Zuhause, aber niemand soll es merken. In Paris lernte Amie Barouh Collin kennen, offen schwul, offen lustig, und ein Rom. Er lebte in einer Siedlung, deren Häuser aus allem Möglichen gebaut wurden, das die Gemeinschaft fand. Aber innen waren die Häuser stets geschmückt und schön dekoriert.
Amie Barouh begleitet Collin, durchstreift mit ihm die Stadt. In seiner Roma-Gemeinschaft wird sie als seine Ehefrau willkommen geheißen, obwohl nicht alle mit ihr einverstanden sind, besonders die Frauen nicht. Sie ist ihnen zu unkonventionell, hat studiert, verstößt damit gegen die Rollen, die in ihrem patriarchalen System für sie vorgesehen sind. Zwei Jahre lebte sie in verschiedenen familiären Zusammenhängen und empfing Wärme, Freundschaft, Solidarität.
Die Gemeinschaften von Sinti und Roma empfinden viele als abgeschottet, eigenen Regeln unterworfen, unverbunden mit dem Kontext, in dem sie leben, Stadt, Land, egal. Ihre gesellschaftliche Isolation betreiben sie auch selbst, um ihre Identität zu bewahren. Dazu kommt die Isolation von außen: wie eine Fessel schnürt sie ein Band aus allgemeiner Diskriminierung, Vorurteilen, Rassismus und Gewalt ein. Es ist nun aber auch so: wer sich um gesellschaftlichen Zuspruch so wenig schert, dem fällt die Verletzung gesellschaftlicher Regeln auch nicht schwer: es sind ja nicht die eigenen.
Das wird deutlich thematisiert in ihrem ersten Spielfilm aus dem Jahr 2022: »Bari Mageia«, heißt er, Große Magie. Doch worin besteht die Große Magie? In ein paar Zaubertricks, die ein Junge vollführt, in ein paar Beschwörungsformeln, die eine reife Frau vor einem flackernden Hintergrund murmelt? Er spielt in einer unbestimmt gehaltenen Siedlung unter Jugendlichen. Ein kleiner Bruder, der ganz offenbar aus einem Erziehungsheim geflohen ist, gesellt sich wieder zu seiner Familie, auch wenn das bedeutet, an durchgeplanten Diebstählen beteiligt zu werden. Doch er will das nicht mehr, gesteht er seinem älteren Bruder nach einem Einbruch auf der Flucht, er will nicht in diesen Kreislauf stecken bleiben, stehlen und von der Polizei gefasst werden, aber er will auch dazu gehören. Da nimmt ihn der große Bruder einfach huckepack und verschwindet aus dem Bild.
Ist dieser Film fiktional, sind die beiden anderen expressionistisch gestimmte Gespinste, Gewebe aus Licht, Schatten, Straßenlärm, Polizeisirenen, Beschwörungen, Paargesprächen, Aufnahmen von Matratzenlagern, einem Kind, das unter einer Plastikplane auftaucht, Nahaufnahmen von Füßen, Haaren, sich im Imponiergehabe balgenden Männern, gegengeschnitten mit kämpfenden Braunbären. Fast niemals ist eine Person gänzlich zu sehen, und wenn, dann verdeckt ein Stuhl, ein Tisch die Figur. Die Filme nähren sich von Gefühlen und Stimmungen, nie von Gewissheiten, und so ist auch keine Person eindeutig und nachvollziehbar umrissen. Sie erklärt sich selbst, durch ihre Worte. Kommentar von außen: Fehlanzeige. Dieser flackernden künstlerischen Annäherung gelingt trotz aller Flüchtigkeit eine unglaubliche Intimität.
Und das ist die Stärke der Arbeiten von Amie Barouh, deren erste Einzelausstellung das Zollamt jetzt zeigt. Sie künden von einem Innen.
»Entre-Sorts« – Eine berührende Ausstellung von Amie Barouh im MMK, Zollamt
