Die Amerikanerin Mary Miller nennt ihren zweiten Roman »Biloxi«
Das Buch wurde, 2019 in den USA erschienen, kurz vor der (ersten?) Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten, 2016 geschrieben. Es spielt in einem Milieu, aus dem Trumps Wähler stammen. Alltag in Amerika. Die Autorin kennt sich da aus. In Texas geboren, lebt sie jetzt in Oxford, Mississippi. Also dort, wo William Faulkner einst gelebt und geschrieben und ebenfalls die Mentalität dieser Menschen beschrieben hatte. Sie beschreibt einen vereinsamten Mann, der, buchstäblich auf den Hund gekommen, wieder zu sich selber findet.
Bekannt, auch in Deutschland, wurde Mary Miller mit ihrem 2013 erschienenen Romandebüt »Süßer König Jesus«. Ein tief religiöses Paar fährt mit ihren Teenager-Kindern von Alabama nach Florida, um da den vorhergesagten Weltuntergang zu erleben. Es ist eine Fahrt durch ein bigottes, dem Konsumterror ausgesetzten Amerika, das man nur durch Betäubung mit Alkohol ertragen kann. Louis McDonald Jr., der keineswegs heldenhafte Held des neuen Romans, der in der kleinen Hafenstadt Biloxi, im Süden von Mississippi spielt, trinkt zwar immer noch ordentlich, versucht aber vom Schnaps auf Bier umzusteigen.
Und wie das manchmal so ist im Leben: einmal falsch abgebogen und schon ist alles ganz anders. »Ich war losgefahren, um eine Pepsi zu holen, nach links abgebogen statt nach rechts, und – schwupps hatte ich einen Hund. Das Leben war echt schräg.« Louis, der Ich-Erzähler, gerade pensioniert und dann noch von seiner Frau verlassen, kommt auf dem Weg zum Einkaufen an einem Schild vorbei: »Hunde zu verschenken«. Er hält an und ist zehn Minuten später Besitzer einer weißen, etwas übergewichtigen Border-Collie-Hündin, Layla. Sie ist unkompliziert und meist friedlich, hat nur eine unangenehme Eigenheit, sie würgt gerne und viel und spuckt dann meist Galle aus und das völlig ohne Vorwarnung. Louis ist zwar einsam, aber möchte trotzdem niemanden um sich haben. Er merkt aber gleich, ein Hund, das geht. »Sie akzeptierte meine Fehler und verlangte keine Gegenleistung (…) Ich brauchte ihr keine Blumen zu schenken oder an ihren Geburtstag denken.« Louis hat eine Tochter und ein sechs jähriges Enkelkind, aber sie sehen sich selten. Er ist der Meinung, »wir hatten einander nichts mehr zu sagen, eines Tages brauchte sie mich nicht mehr«. Auch seine Frau »wusste immer genau, wie sie mich am besten verletzen konnte«. Er fühlt sich immer als der Loser, der Zukurzgekommene, obwohl er auch meint, er habe es nicht anders verdient. Irgendetwas zieht Louis magisch wieder dahin, wo er die Hündin Layla geschenkt bekam. Diesmal ist kein Mann, sondern eine Frau, Sasha, zu Hause. Als Layla sie sieht, springt sie voller Wiedersehensfreude an ihr hoch und Louis ist klar, dass Layla gegen den Willen von Sasha »verschenkt« worden war. Sashas Ehemann hatte sich eine besondere Boshaftigkeit für seine Frau ausgedacht.
Dann passiert in Louis Leben doch noch etwas völlig Unvorhergesehenes: Plötzlich steht Sasha mitsamt Layla vor seiner Tür und zieht bei ihm ein. Doch sehr schnell ist sie wieder weg, und auch sein Laptop, seine Kreditkarte, sein Ersatzschlüssel und was ihn wirklich ärgert, auch der Küchenmixer. Polizei, denkt er? Besser nicht! Denn jetzt gehört ihm immerhin Layla. Die Tage plätschern dahin, Gassi gehen, einkaufen, in einer Bar ein paar Drinks zu sich nehmen, Fastfood essen, im Sessel sitzen, ein bisschen wegdämmern, aber hauptsächlich darauf warten, dass er endlich Erbe des Vermögens seines verstorbenen Vaters wird. Ihm ist klar, dass ihm sein Leben nach der Scheidung und der Pensionierung »etwas entglitten war«. Er ist sich aber sicher, »das ist jetzt vorbei, ich habe die Dinge wieder im Griff«. Doch nichts davon trifft zu. Er erträgt dieses Leben, weil er sich ständig mit Alkohol betäubt oder belügt. Er hatte angeblich immer versucht, seiner Frau oder Tochter alles »recht zu machen, aber sie hatten mich an allen Ecken und Enden überlistet«.
Mary Miller beschreibt den Alltag in Biloxi, Mississippi, am Golf von Mexiko, also im tiefen Süden der USA. Alles geht seinen ganz normalen Gang. Und das ist die Katastrophe. Louis,
dieser keineswegs unsympathische Jammerlappen plant am Ende, wie einst Louis Begleys Held »Schmidt«, mit einem luxuriösen Wohnwagen durch die Gegend zu fahren und dazu sogar seine Familie einzuladen. Vor dieser neuen Wendung in seinem Leben hat er natürlich Angst, aber »Angst zu haben war weit besser als die Leere eines Lebens im Sessel«. »Biloxi«, dieser Roman, in dem es nur um einen Mann zu gehen scheint, der tatsächlich auf den Hund gekommen ist, zeigt das präzise Abbild eines Landes, das dieser Beschreibung entspricht.