»Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann« von André Schäfer

Nein, es handelt sich bei dem Filmtitel nicht um eine Verwechslung. Vielmehr ist André Schäfers Film ein Versuch, Thomas Mann einem heutigen Lesepublikum, das auf TikTok Büchertipps austauscht, näherzubringen. Und das ist bei dem Stil des deutschen Großschriftstellers kein einfaches Unterfangen.

Es ist eben auch selbstverschuldet, dass Thomas Mann auf einem Sockel steht. Sein gespreizter Stil, gerade in dem Roman »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull«, erfordert erst einmal Geduld vom Leser. Er begnügt sich beispielsweise nicht damit, dass eine seiner Figuren sucht, bei ihm begibt sie sich auf eine Suche.
Diese Eigenart hat mich vor vielen Jahren, ja vor Jahrzehnten, als ich das Buch las, einigermaßen befremdet. Denn der Stil wollte für mich nicht so recht zu einem Schelmenroman passen. Dagegen mehr zu dem alten Klischee, dass die Deutschen keine Komödien schreiben können.
Regisseur André Schäfer geht vom Leben des Schriftstellers aus und sucht nach Parallelen zu dessen Romanfigur. Ist Felix Krull ein Alter Ego von Thomas Mann, sein letzter Roman auch ein bisschen Autobiographie, wenn auch fiktiv? Ein Wunsch vielleicht, so gelebt zu haben?
Konsequent mischt Schäfer dokumentarisches Material mit Spielszenen – diese Form hat er schon in »Herr von Bohlen« (2015) angewandt – und lässt Sebastian Schneider abwechselnd als Thomas Mann und Felix Krull Szenen aus dem Buch und aus Manns Tagebuch-Notizen nachspielen.
Das Verfahren ist keineswegs aus der Luft gegriffen, gibt Mann doch nach Erscheinen des Romans an: »Das Buch begann ich schon vor mehr als 40 Jahren.« Mit keiner seiner Figuren hat sich der Autor länger beschäftigt. 1905 trug er sich noch mit dem Gedanken, eine eigene Version von Goethes Autobiographie »Dichtung und Wahrheit« zu schreiben (bescheidener geht es ja bei Mann nicht). Es dauerte 1954 auch nicht lange, bis Allgemeingut wurde, dass Krull eine Menge mit seinem Schöpfer gemeinsam habe, was die Attraktivität es Buches mächtig steigerte.
Der Film umfasst jetzt ein ganzes Schriftstellerleben von der Geburt in Lübeck, wohin er kurz vor seinem Tod zurückkehrt, um als Ehrenbürger gewürdigt zu werden, über sein Exil in der Schweiz und in den USA, bis er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Untergang Nazi-Deutschlands in die Schweiz zurückkehrt. »Denn in dem alten Kontinent liegen die Wurzeln meiner Existenz, und ich glaube an die kulturelle Sendung, die ihm vorbehalten ist in einer neuen Welt, deren Umrisse sich langsam abzuzeichnen beginnen«, erklärt er.
Wie Schäfer seinen Protagonisten in Kalifornien, in Lissabon und anderen Stationen von Manns Leben auftreten lässt, ist hübsch anzuschauen, wirkt aber nicht immer überzeugend. Deutlich wird jedoch im Auftreten und vor allem in der femininen Kleidung seines Protagonisten, dass der Film die homosexuellen Neigungen, die Mann in seinem Werk zu kaschieren versuchte, offen zeigen will. Aus den weiß gegürteten Flanellhosen wird ein Tennisrock – Sebastian Schneider läuft oft in einem Rock durch den Film. Auch die »Stellen« aus der posthum veröffentlichten Tagebüchern werden zitiert. Thomas Mann ist in die LGBTQ-Gemeinschaft aufgenommen worden.

Claus Wecker / Foto: © mindjazz
Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann
Essayfilm von André Schäfer, D 2024,
91 Min., mit Sebastian Schneider
Start: 07.11.2024

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