Der Unerschrockene
Ein Leben als Kunstwerk. Joseph Beuys erweiterte den Kunstbegriff radikal, und das zu einer Zeit, als man Kunstwerke nur im Museum vermutete. Und er sah in jedem Menschen einen potentiellen Künstler. Als man alles und jedes als politisch ansah, war dies natürlich ein Politikum. Andres Veiel hat darüber einen erstaunlichen Film gemacht.
Der Dokumentarist und Theatermann Veiel (»Black Box BRD«, »Die Spielwütigen«) ist nach seinem Ausflug ins zeitgeschichtliche Drama (»Wer wenn nicht wir«) zum Dokumentarfilm zurückgekehrt. Und erneut ist zu bewundern, wie er sich seinem Protagonisten widmet. Ob in seinen Filmen oder in seinen Theaterstücken: die Personen treten plastisch hervor.
Zu Beuys hat er ein besonderes Verhältnis. Er habe ihn schon als Jugendlichen in den späten 70er Jahren geprägt, sagt er. Wie Beuys die Kunst als eine Kraft ansah, mit der man in gesellschaftliche Prozesse eingreifen kann, so will sich auch Veiel mit seinem Publikum auseinandersetzen. Das Werk selbst biete nur den Anlass für diese Auseinandersetzung und werde im besten Falle überflüssig, »wenn sich Menschen zusammenfanden, feststellten, dass sie ähnliche Fragen hatten, und sich verabredeten, diese gemeinsam anzugehen«, schreibt Veiel im Presseheft zu seinem Film.
Das klingt zwar etwas idealistisch, macht aber gerade deshalb den Autor zu einem idealen Porträtisten für den unerschrockenen Idealisten Beuys. In der Collage von Filmdokumenten – die einzigen Kommentare geben Zeitzeugen im Nachhinein – stellen sich dessen rheinische Wurzeln und die Erlebnisse als Luftwaffenpilot im Zweiten Weltkrieg mit mehreren Abstürzen als persönlichkeitsbestimmende Faktoren heraus. Wer das überlebt hat, traut sich was.
So provoziert Beuys mit seinen Thesen in einer Diskussionsrunde die Kulturexperten und in Hörsälen jedes Auditorium. Er legt sich mit Ministerpräsident Rau an, als er eigenmächtig sämtliche Studierwillige an der Kunsthochschule aufnimmt und das Sekretariat besetzt. Als früher Grüner pflanzt er Bäume zu documenta 7 und 8 im »Projekt 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung« – ganz im Sponti-Jargon. Ein ›enfant terrible‹, das immer etwas traurig ausschaut, als ob es sich mitunter der Vergeblichkeit seines Bemühens bewusst würde. Das trifft auch zu, als er auf einem Parteitag der Grünen mit seiner Kandidatur für einen Listenplatz scheitert.
Dennoch hat Beuys’ Auftreten etwas Befreiendes, etwa wenn er naiv-provokant mit seinem rheinischen Akzent fragt: »Wollen Sie eine Revolution ohne Lachen machen?« Das Lachen scheint uns ja heutzutage vergangen zu sein. Ebenso die Freude an der geistigen Auseinandersetzung, am politischen Diskurs. Umso wichtiger ist gerade heute Veiels Zeitreise in eine Welt, in der alles erst einmal ausdiskutiert werden musste.