Botschaften aus einer ungestümen Zeit – Frieda Riess und Yva. Fotografien 1919–1937 in den Opelvillen

Sie sind so schön, so wild, so ungestüm. Wer sich in den Ausstellungsrundgang der Opelvillen vertieft, der den Fotografinnen Frieda Riess und Yva gewidmet ist, dem entsteht eine neue Welt vor Augen, die längst vergangen ist, und doch moderner als so vieles, was heute als modern gilt, denn aus ihnen spricht ein so selbstgewisser Wagemut, eine so ungebrochene Lust an der Neu-Erfindung, an ein uneingeschränktes Vertrauen in die Musik und das Temperament der Zukunft, dass es einem den Atmen nimmt. Lauter kleine Irmgard Keuns und Else Lasker-Schülers mag man hier sehen, diesen Geist, diese Anmut, diesen Esprit und Mut, diese blitzende Intelligenz und den Witz. Es sind die Frauen, voxn denen Siegfried Kracauer schrieb und vor allem Irmgard Keun, die neuen Bürofräuleins, die Schauspielerinnen und Varieté-Sängerinnen in einer verheißungsvoll glitzernden und doch abgründigen Großstadt.
Doch klar, ohne harte Arbeit geht es nicht. Frieda Riess (1890–1957) und Yva (1900–1942 im Vernichtungslager Sobibór) sind beide Pionierinnen auf dem wackligen Konstruktionsgelände der Neuen Frau; die tradierten Bilder hatte der Krieg zerfetzt. Liv Lisa Fries als Charlotte Ritter in »Babylon Berlin« gab diesen Frauen unlängst eine überzeugende Gestalt. Genau um diese Frauen geht es, die auf eigenen Beinen stehen, sich in der neu herausbildenden und so schwankenden Gesellschaft einen Platz suchen müssen. Und gleichsam mit den Fotos stellen die Opelvillen und die Kuratorin Judith Goossens eben auch viele Biografien aus, die von Glücksritterinnen auf dem lockenden Gelände der Varietétheater, der Bühnen und der Fotoromane handeln, die ihr Gesicht und ihre Gestalt darboten für die Magazine »Die Dame« und »Uhu« aus dem Ullstein Verlag, sozusagen Ansichtsmaterial lieferten für die neue Frau.
Frieda Riess reüssierte als Porträtfotografin. Gerhart Hauptmann, Emil Jannings, Tilla Durieux und Asta Nielsen ließen sich von ihr in ihrem Studio ablichten. In ihrem atmosphärisch der expressionistischen Malerei verhafteten Stil komponierte sie die Porträts nicht als bloße, der Objektivität scheinbar verhafteten Abbildungen, sondern inszenierte sie wie sprechende Szenenbilder, z.B. wie sie Lil Dagover sich im Schleierkleid im Spiegel betrachten oder Margo Lion als extrem stilisierte Figur im Abendkleid mit absurd verdrehten Augen ein Lied singen lässt.
Die um zehn Jahre jüngere Yva, eigentlich Else Ernestine Neuländer, spezialisierte sich auf Werbe-und Modefotografien und experimentierte mit neuen fotografischen Formen wie der Doppel- und Mehrfachbelichtung, die ihren Aufnahmen eine surrealistische Tiefe und Rätselhaftigkeit verliehen. Ihre Modelle fand sie in Revue-und Varieté-Theatern, auch in der Filmstatisterie und bei Ausdruckstänzerinnen wie Claire Bauroff, die sie auch nackt ablichtete. Es gab damals noch keine Models. Sich für Geld fotografieren zu lassen galt als Prostitution. Yva hatte einen berühmten Schüler, Helmut Newton, und für seine starken selbstbewussten Frauenbilder darf sehr wohl Yva als Vorbild dienen.
Der Parcours fokussiert sich in seinen Kabinetten jeweils auf eine der beiden Fotografinnen, verschränkt ihre Arbeiten aber auch, betont die Unterschiede, was besonders augenfällig beim selben Sujet wird (z.B. Asta Nielsen), aber auch die Nähe der fotografischen Methode. Vervollständigt wird die Schau aus 110 Arbeiten, die überwiegende Mehrzahl Modern Prints, durch Dokumentarfilme aus den aberwitzigen Roaring Twenties.
Wie es ausging, wissen wir. Beide führten als Jüdinnen im Nazi-Regime bedrohte, zum Ende hin tragische Existenzen. Umso wichtiger ist es, die Bilder dieser Gesellschaft neu zu entstehen zu lassen. Frieda Riess und Yva waren stilbildend und herausragend, sie waren eine Inspiration für mehr als nur eine Generation, und wie toll, dass sie in den Opelvillen nun gefeiert werden.

Susanne Asal / Foto: Yva, Ohne Titel (Creme Mouson), um 1937
© Das Verborgene Museum
Bis 4.6.: Di.–Fr., So., 10–18 Uhr; Sa., 14–18 Uhr
www.opelvillen.de

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