Die lange Autofahrt eines Krankenwagens durch ein Tunnelsystem, dann eine Pkw-Fahrt durchs nächtliche Teheran. In Ali Ahmadzadehs Hardcore-Arthouse gibt es beeindruckende Bilder, aber wenig Erklärungen. Man fühlt sich wie in einem Film der Berliner Schule, und auch das dürfte »Critical Zone« 2023 in Locarno den Goldenen Leoparden für den Besten Film eingebracht haben.
Es dauert eine Weile, bis wir den Protagonisten zuhause beim Eintüten von Haschisch-Portionen und Backen von den entsprechenden Keksen zuschauen können. Der sympathische Amir (Amir Pousti) ist also ein Drogenkurier, der Krankenwagen hat (in eine unterirdische Urananreicherungsanlage?) kleine Säcke mit Drogen geliefert.
Typisch für den Film, dass er mit den Vorstellungen der Zuschauer über den Iran rechnet. Ein Drogenkurier hätte es nämlich auch hierzulande schwer und müsste seine Geschäfte im Untergrund abwickeln, zumal er es nicht bei Haschisch belässt, wie sich später herausstellt.
Wenn wir aber wissen, dass der Iran eine religiös geprägte Diktatur ist, in der selbst Alkoholkonsum verboten ist, bekommen Amirs Fahrten zu Kunden und Lieferanten eine neue Bedeutung. Auch als sich herausstellt, dass er mit seinen Haschkeksen das Leben der Menschen im Seniorenheim
verschönert und am Ende sogar als Arzt auftritt. Gemeinsam mit dessen hübscher Mutter zieht er alle Register, um einen zusammengebrochenen jungen Mann wieder zu beleben.
Nur wenn man weiß, dass als unrein angesehene Hunde zu halten 0mehr oder weniger verboten ist, wird auch daraus, dass Amir seine karge Wohnung mit einem kleinen Vierbeiner teilt, ein Akt des Widerstands.
Aber ist Amir ein Prophet des kommenden Aufstands, der seine Kundschaft mit Stoff versorgt, wie ein Kritiker im »Filmdienst« schwadroniert? Genügt zu dieser Schlussfolgerung Ahmadzadehs Beschränkung auf äußerliche Abläufe und Oberflächenreize? Genügt der intensive Schrei einer Frau nach Freiheit? Es gehört eine Menge Phantasie zu einer derartigen Deutung.
Bleibt festzuhalten, dass Ahmadzadeh sich von der traditionellen Erzählweise des großen iranischen Kinos weit entfernt hat. Bemühten sich Regisseure wie Abbas Kiarostami (»Der Geschmack der Kirsche«) und Jafar Panahi (»Taxi Teheran«) noch um eine genaue Schilderung der Konflikte im »Gottesstaat«, so treten die neueren iranischen Filme widerspenstiger auf und setzen einiges bei den Zuschauern voraus. »Critical Zone« ist weitgehend mit versteckter Kamera aufgenommen worden, und es ist nicht der einzige neuere Film, der so gedreht und im Ausland produziert wurde. Es scheint die Zeit des Abwägens, dessen perfekter Vertreter Asghar Farhadi mit »Nader und Simin – Eine Trennung« ist bzw. wohl schon war, vorbei zu sein. Die vielen Vorführ- und Ausreiseverbote, Gefängnisstrafen und Hausarreste haben bei den Filmemachern Wirkung gezeigt. Mit ihren Filmen verlassen immer mehr das Land und geben der europäischen Filmszene neue Impulse.