Der Griff nach den Sternen – Christoph Peters neuer Roman »Krähen im Park«

Die junge Bundesrepublik erhielt durch Wolfgang Koeppens berühmte Romantrilogie »Tauben im Gras« (1951) »Das Treibhaus« (1953) und »Der Tod in Rom« (1954) ihre erste große literarische und zugleich politische Bestandsaufnahme. Drei voneinander völlig unabhängige Geschichten, die dennoch am Ende ein Gesamtbild ergeben. Christoph Peters legt mit den »Krähen im Park« jetzt bereits den zweiten Band seiner geplanten Trilogie vor und bezieht sich dabei ausdrücklich auf Koeppen. Auch hier wieder drei voneinander unabhängige Romane, die doch ein einziges großes Panorama ergeben sollen. Ein höchst anspruchsvolles Unternehmen, also ein »Koeppen« für das 21. Jahrhundert.

Das neue Buch ist also der zweite Teil einer Trilogie, einer, wie der Autor sagt, »Trilogie des Scheiterns«. Ein vielstimmiger Gesellschaftsroman, der einen einzigen Tag einer Gesellschaft im Umbruch beschreibt. Es ist der 9. November 2023. Peters präsentiert zu diesem Zweck eine Vielzahl von Personen, die in irgendeiner Form miteinander verbandelt sind. Und immer durch eine (mindestens) überscharfe Brille gesehen werden. Da ist zunächst Dirk Mansfeld, Architekt, verheiratet mit Mariann Krüger, ehemals Schauspielerin, die »legendäre Abendgesellschaften« organisiert, bei denen man Schriftstellern und Künstlern begegnet. »Sie knüpften Kontakte, begannen Affären, kotzten in die Rabatten«. Oder Urban Fischer, Schriftsteller, dessen Buch letzthin noch hochgelobt wurde. Jetzt aber leidet er an einer Schreibblockade. Er hasst die Stadt Berlin, »sie war ein Dreck, eine Foltermaschine, ein überbevölkerter, versiffter, stinkender Käfig, in dem Schnösel, Wichtigtuer, Lackaffen hausten, dumme großkotzige Gören, chronisch pubertäre Moslems, Vollirre, Alkoholiker und Junkies«. Urban Fischers Frau Irma, früher Model, jetzt Influencerin, hat auch eine eigene Kolumne als »urban professional mother«. Ihre gemeinsame dreieinhalbjährige Tochter Leonie wirbt schon für Kindermode. In einem ihrer selbstkritischen Momente ist Irma klar, dass auch sie eine dieser »dummen Mütter war, die sich im Glanz ihrer Model-Kinder die eigene Bedeutungslosigkeit schönredeten«. Jens Biesemann, Unternehmer und Investor, lebt von seiner Frau Silvana getrennt. Sie verkörpert als »klimaaktivistische Veganerin« den krassen Widerspruch zwischen Anspruch und realem Leben. Sie lebt allein in einem riesigen Haus, beheizt sogar im Winter den Außenpool und fährt im Cayenne zum fußläufigen Supermarkt. Die 18-jährige Dina ist schwanger von dem Paketboten Emre. Sie ist in keiner intakten Familie aufgewachsen, ihren italienischen Vater hat sie nie kennengelernt und ihre »chronisch überforderte Mutter« ist eine frustrierte Frau. Unbewusst wirft sie Dina vor, dass sie ihretwegen auf eine Karriere verzichtet hat. Dina erträumt sich eine Welt, in der die Familie zusammenlebt, sich alle gut verstehen, einander helfen, so wie es angeblich in Emres türkischer Großfamilie sein soll.
Ziemlich schonungslos, oft an der Grenze zur Karikatur beschreibt Peters sein zahlreiches Personal. Ein Tag. Eine Stadt. Eine Bestandsaufnahme. Koeppen zeichnete einst ein genaues Bild der jungen Bundesrepublik. Peters steht in der Gefahr, sein Bild zu überzeichnen.
Neben all den wichtigen oder sich wichtig nehmenden Menschen, begegnen wir auch dem afghanischen Flüchtling Ali Zayed. Mit einer Menge Geld, versteckt im Futter seiner Sporttasche, hat er sich auf den Weg gemacht. Den Verwandten, der ihm angeblich helfen will, soll er in einer Shisha-Bar treffen. Der friedliche Ali wird dort in einen tödlichen Streit verwickelt und muss ohne seine Tasche fliehen. Doch Dreh- und Angelpunkt dieser irrwitzigen Gesellschaftssatire ist der französische Schriftsteller Bernard Entremont. Er soll in Berlin den Bruno-Lankwitz-Preis für europäische Literatur bekommen. Studierende, die extra mit ihrem Professor aus Göttingen angereist sind, entdecken Entremont am Nachmittag in einem Lokal. Der Schriftsteller ergreift die Flucht, nachdem er einem Studenten seinen Rotwein ins Gesicht geschleudert hatte. Die Gruppe fühlt sich bestätigt. Dieser Entremont ist ein »reaktionäres, xenophobes, misogynes Arschloch«. (Wer übrigens hier an Michel Houellebecq denkt, scheint mir nicht schlecht beraten.) An Komik kaum zu überbieten ist dann die Preisverleihung am Abend. Entremont hält seine Dankesrede, als plötzlich aus dem Mischpult, verursacht durch einen Kurzschluss, eine Stichflamme aufschießt, Rauch aufsteigt und im Nu die Feuerlöschanlage den gesamten Raum mit einem weißen Schaumteppich überzieht. Die Veranstaltung endet im Chaos.
Peters liebt die Überzeichnung, den bösen, beißenden Spott. Er beschreibt, wie er sagt, »Blender, Schaumschläger, Possenreißer, Dummschwätzer«. Sein Hinweis, »dass Handlung und Personen frei erfunden sind«, wirkt mehr als verständlich. Es werden sich einige wiedererkennen können. Vor allem dieser Entremont, ein Mann, »der seine Kämpfe fernab der Menschen allein an seinem Schreibtisch ausfocht«. Aber Peters warnt ausdrücklich: »Wer sich darüber empörte, verletzt, geschmäht, beleidigt fühlte, saß einer derart dummen Verwechslung auf, dass man ihm eigentlich den Kauf von Literatur verbieten sollte.«

Sigrid Lüdke-Haertel
Christoph Peters: Krähen im Park
Roman, Luchterhand Literaturverlag,
München, 2023, 320 S., 24 €

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