Erinnert sich vielleicht noch jemand an die zertrümmerten Gitarren von Pete Townsend von The Who? Bei den Live-Gigs in den Londoner Clubs Mitte der 1960er Jahre ging es bei »My generation« eigentlich nie ohne Instrumentenklopperei ab. Der Gitarrist Pete Townsend bezog sich mit dieser Aktion ganz ausdrücklich auf den aus Nürnberg stammenden und in London lebenden Künstler Gustav Metzger, der exakt diese Form des Aktionismus gerade erfunden und per Manifest als Autodestruktion definiert hatte.
Gustav wer? Es ist evident: Das künstlerische Rebellentum des Gustav Metzger (1926–2017) unterlief in einer Art quecksilbriger Parallelwelt den etablierten Kunstzirkus auf so vielfältige Weise, dass über ihn ein Zitat kursiert: »In Nürnberg geboren, in London zu Hause, ist er vielleicht auch der wichtigste Künstler, den Deutschland nie hatte«.
Ja, und wie auch? Seinen Eltern gelang es, den zwölf Jahre alten Gustav und seinen Bruder auf den letzten Kindertransport zu bringen, der Nazi-Deutschland in Richtung England verlassen konnte, sie selbst wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Deutschland, auch das Nachkriegs-Kunst-Deutschland, kann und konnte ihn gar nicht »haben«, und jemanden, der sich so fundamental gegen Festlegungen und Einordnungen sperrte, sowieso nicht. »Staatenlos« stand in seinem Dokument, diesen Status hatte er bewusst gewählt.
Das MMK widmet Gustav Metzger, halb Aktionskünstler, halb politischer Agitator, jetzt eine Retrospektive, die alle Phasen seines Schaffens würdigt. Und das sind viele. Sein Lebenslauf unterscheidet sich fundamental von denen anderer Künstler*innen: es ging bei ihm nie um eine Weiterentwicklung von einmal gefundenen Themen, Formen, Grundlinien, um das Ausloten des eigenen Talent-Fundus sozusagen, sondern um ein Verweben von Kunst mit einem gesellschaftspolitischen Auftrag. Er konnte sich Kunst gar nicht abseits von gesellschaftspolitischer Verantwortung denken, nicht ohne politische Anklage auch, und so ist klar, dass er Formate sprengen – und auch immer wieder neue erfinden wird. Das macht auch den Rundgang so überraschend. Und klar auch: Jemand der bei einer Installation für die documenta in Kassel Autoabgase in das Gebäude leiten wollte – hatte auch hier nichts zu suchen.
Die Ausstellung geht dabei chronologisch vor und stellt seine zarten, mit Bleistift gezeichneten Kinderporträts von 1950 an den Beginn. Es sind keine niedlichen Kinder, eher bedenklich schauende, ernste, in sich versunkene junge Erwachsene – Spiegelbild seines eigenen Ichs? Gegenüber hängt das »Selbstbildnis eines Unbefleckten« aus dem Jahr 1946, als er noch bei David Bromberg, einem Vertreter des britischen Futurismus, studierte. Dieses in Blau-Grün-Brauntönen gehaltene Gemälde zeigt eigentlich einen Knochenmann, die Augen bekümmert, verzweifelt. Die Schwarz-Weiß-Studien zu Rembrandts letztem Gemälde »Porträt einer Familie« skelettieren die Komposition, doch die Menschen darauf haben anstelle der Gesichter entleerte und geschwärzte Rechtecke. Spiegelbild eines erinnerten Ichs? Denn diese Konstellation – eine sich einander zugewandte Vater-Mutter-Kinder-Szene – wird er nie wieder erleben. Wieviel Schmerz muss in ihm stecken.
Das Rezept dagegen: Eine vagabundierende Neugier für das Experiment, das Wissenschaftliche, das Ausprobieren neuer Stoffe und den Möglichkeiten, die computergeneriertes Arbeiten und die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern mit sich bringen. Im Jahr 1965 entstand das »Liquid Crystal Environment« mit farbigen Flüssigkeitskristallen, die in ihrer Bewegung und dem Farbwechsel eine nahezu psychedelische Wirkung entfalten und von Bands wie Cream und The Who als Bühnenbild benutzt wurden. LSD-Ästhetik – aber ohne Drogen.
Gegen die Auswirkungen des Kapitalismus, gegen die Umweltzerstörung, gegen die Zerstörung von menschlichen Bindungen – und gegen die finale Zerstörung allen Lebens durch die Atombombe galt seine unermüdliche Rebellion – und hat eindrucksvolle Manifeste und Kunstwerke hinterlassen wie »Kill the Cars« – vor einem zur Fototapete aufgezogenen Bild einer Anti-Autodemonstration 1996 in Camden, London. Auf dem Foto springen Kinder auf einem Autowrack herum, ihr »Kill the Cars« ist aus einem tatsächlich zerstörten Auto im Ausstellungsraum zu hören. Seine Weggefährten heißen Bertrand Russell und Yoko Ono, unter anderen.
Autodestruktion als künstlerisches Mittel gegen die Zerstörung der Welt – in zwei großen Installationen aus den Jahren 1996 und 1998 führt Gustav Metzger seine Biografie in sein künstlerisches Werk ein, mit allen Sinnen. In »To crawl into – Anschluss« verbirgt sich eine Fotografie aus dem Wien von 1938 unter einem riesigen gelben Tuch: Es zeigt, wie die jüdische Bevölkerung von Mitgliedern der Hitler-Jugend gezwungen wurde, auf Knien mit Zahnbürsten das Kopfsteinpflaster einer Straße zu schrubben, hämisch beobachtet von Schaulustigen. Dieses Foto sieht nur, wer unter das Tuch kriecht und sich somit in dieselbe Haltung begibt wie die derart Gedemütigten – und zusieht. Das Tuch trägt die Farbe der Judensterne.
»The Ramp at Auschwitz«, aufgenommen im Sommer 1944, vermutlich von SS-Hauptscharführer Ernst Hofmann. Der Zuschauer geht selbst eine von einer Mauer begrenzten Rampe entlang, der Gang ist nicht breiter als ein Meter. Man geht ganz dicht an dieser Fotografie vorbei, kann sich den darauf abgebildeten Menschen, dem Geschehen überhaupt nicht entziehen. Auch nicht der Installation »Vor dem Abbruch«, die ganz lapidar Auszüge aus den antijüdischen Gesetzen aus dem Reichsgesetzblatt von 1938 zeigt.
Entziehen dagegen kann man sich – und sollte es doch auf keinen Fall – dem ersten und auch dem letzten Bild dieser Ausstellung. Draußen, vor dem Eingang, wo sich die Terrasse des schicken Cafés Elaine’s Deli befindet, sind fünf Trauerweiden kopfüber in Betonquader eingegossen. Ihre Wurzeln recken sie gen Himmel, doch klar ist, sie werden sterben. Fällt das eigentlich irgendjemandem der schick urban uniformierten Gäste auf, die neben und unter ihnen sitzen? Vielleicht ja, vielleicht nein. Dabei ist es ihre Umwelt, die grade vor die Hunde geht. Gustav Metzger at his best.