Der reine Horror: »Green Border« von Agnieszka Holland

Dieser Film hat in Polen heftige Kontroversen ausgelöst. Die konservative PiS, die im letzten Jahr noch die Regierung stellte, sah den Ruf des Landes beschmutzt. Zeitweise stand die 74-jährige Regisseurin Agnieszka Holland (»Hitlerjunge Salomon«) sogar unter Personenschutz. Dass die Regierung seinerzeit die massenhafte Einwanderung von Afrikanern und Asiaten zu verhindern suchte, war zwar allgemein bekannt, aber genau wissen sollten die Menschen besser nicht, wie man an der Grenze zu Weißrussland mit den Menschen umging, die in Europa Schutz suchten.

Nach dem großen Erfolg in den Kinos des Landes sind die Vorgänge im polnischen Grenzgebiet allgemein bekannt geworden. Holland hat intensiv recherchiert und mit Maciej Pisuk and Gabriela Lazarkiewicz ein sehr informatives Drehbuch verfasst. Anhand dieser Vorlage hat sie die Zustände an der Green Border im Zeitraum vom Oktober 2021 bis zum Februar 2022 nachgestellt.
Der Film setzt in einem voll besetzten Flugzeug ein. Unter den vielen Geflüchteten befinden sich, aus Syrien kommend, Bashir (Jalal Altawil, selbst ein geflüchteter Syrer) und Amina (Dalia Naous) mit ihren Kindern und dem Großvater (Mohamad Al Rashi). Die Stimmung ist zuversichtlich. In Minsk werde man am Flughafen abgeholt, denn gehe es nach Europa ins benachbarte Polen, und bald werde man bei Verwandten in Schweden wohnen können.
Doch es kommt anders: Die Grenze, die sich durch einen Wald zieht, ist mit Stacheldraht gesichert, den die Belarussen durchtrennen. Unter Gewehrsalven wird die kleine Gruppe um die syrische Familie nach Polen getrieben. Ein geordneter, legaler Grenzübergang sieht anders aus. Dennoch freuen sich alle, endlich in Europa zu sein. Den lebensgefährlichen Weg übers Mittelmeer hatte man ja nicht nehmen wollen.
Doch bald schwant den Erwachsenen, dass es nicht so einfach werden wird, nach Schweden zu kommen. Denn auf der polnischen Seite werden sie von Grenzschützern aufgelesen und bei Nacht durch den diesmal von Polen aufgeschnittenen Zaun nach Belarus zurückgejagt. Dort wird ihnen noch ihr (letztes) Geld abgenommen, und sie werden brutal wieder nach Polen getrieben.
Der Film konzentriert sich zunächst auf die Flüchtlinge. Viele Szenen spielen sich in der Nacht ab. Die dunklen Schwarzweiß-Bilder von Kameramann Tomasz Naumiuk lassen an einen Horrorfilm denken. Und in der Tat ist die Situation, in der sich die Emigranten befinden, der reine Horror. Das Kinopublikum müsste schon ein Herz aus Stein haben, wenn es mit der syrischen Familie und den anderen Geflüchteten kein Mitleid empfände.
Erst im weiteren Verlauf, wenn sich der Film auf die polnischen Grenzschützer und die Bewohner der Region richtet, werden die politischen Hintergründe genannt. Da taucht dann der Name des belarussischen Diktators Lukaschenko auf, der den Flüchtlingsstrom organisiert hat, um Europa zu schwächen. Man habe es mit menschlichen Patronen zu tun, werden die Grenzsoldaten von ihrem Vorgesetzten indoktriniert. Dennoch sollen Todesfälle unter den Flüchtlingen vermieden werden, und die echten Patronen der Soldaten werden nach jedem Einsatz abgezählt.
Während die Belarussen durchweg brutal und sadistisch geschildert werden, fällt der Blick auf die polnischen Grenzer differenzierte aus. Immerhin sieht man bei ihnen humane Gesten. Jan (Tomasz Wlosok) ist selbst in der Gegend aufgewachsen. Er organisiert die Fertigstellung seines Hauses und sieht, zumal seine Frau baldigen Nachwuchs erwartet, die Situation sehr skeptisch. Ihm sind die Hände gebunden, wenn er seinen Job beim Grenzschutz behalten will.
Trotz ständiger Straßenkontrollen versucht die Psychotherapeutin Julia (Maja Ostaszewska) als Mitglied einer Aktivistengruppe den Geflüchteten zu helfen, die zwar dem Hin- und Hergeschleuse entronnen sind, aber im gesperrten Grenzgebiet ohne Wasser und Lebensmittel festsitzen. Sie und ihre Mitstreiter sorgen für die menschlichen Momente in »Green Border«.
Holland schont das Kinopublikum nicht. Der Vorwurf, der schon zu lesen war, dass sie keine Lösungen anbiete, dient wohl hauptsächlich dazu, die schwere Kost zu verdauen. Denn Lösungen anzubieten gehört sicherlich nicht zu den Aufgabe einer Regisseurin. Die Jury der 80. Filmfestspiele von Venedig fand den Film jedenfalls so wichtig, dass sie ihn mit der Empfehlung eines Spezialpreises versah.

Claus Wecker / Foto: © Agata Kubis/Piffl Medien
>>> TRAILER
GREEN BORDER
von Agnieszka Holland, PL/F/CZ/B 2023, 152 Min.
mit Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Tomasz Wlosok
Drama / Start: 01.02.2024

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