Nein, das Stück von Theresia Walser handelt nicht von den Kartkowskis. Doch es ist, auch wenn wir sie nie zu Gesicht bekommen, immer wieder die Rede von ihnen, den früheren Mitbewohnern all der Leute, die wir im Lauf des Abends kennenlernen. Sie haben mit Seife Millionen gemacht und sind vor kurzem nach Bad Homburg gezogen in eine Villa mit Pool, wo sie sich zwei Kängurus, die Tristan und Isolde heißen, als Haustiere halten.
Kein Wunder also, dass die Abwesenden noch immer anwesend sind in den Gesprächen ihrer in mehrfacher Hinsicht zurückgebliebenen Ex-Nachbarn. Wenn die arbeitslose Architektin Elly (Eleni Tonikidou) das tägliche Herunterrasseln der Rollläden mit dem Fall der Guillotine assoziiert, dann ahnt man, wie sie sich fühlt in diesem Haus. Es ist ein lautsprachliches Bild, das hängen bleibt, auch wenn die benachbarte Unternehmensberaterin Ada (Vlada Gavrylova) die Rollläden-Ratschs als krachende Nackenschläge empfindet oder die Hospiz-Clownin Tschill (Charlotte Benedix) meint, das Gebäude schnäuzen zu hören.
Theresia Walser lässt in ihrem weitgehend handlungslosen Stück acht Bewohner und einen Paketboten in unterschiedlichsten Konstellationen aufeinander los. »Kängurus am Pool« ist ein Puzzle aus traurigen Schicksalen, das Soziogramm einer Gemeinschaft, für die es keine Zukunft mehr gibt. Das Stück, man meint, es zu spüren, entstand während der Corona-Epidemie und wurde 2022 in Bamberg uraufgeführt.
Nichts geht mehr für Adas dauergrantelnden Gatten Säm (Christian Brost), Versicherungsmakler »auf dem absteigenden Ast«, nicht mal mehr die Ehe, wie wir gleich zum Auftakt erfahren, als Ada nachts am Fenster durch Nicht-schlafen (»Ich schlafe gerne nicht«) etwas Erholung sucht – aber nicht findet. Freude am Leben ist Herrn Redrod, dem Handelsvertreter Ellrod (Wolfgang Ottes Richter) fremd, der angeblich mit seiner Mutter zusammenlebt, die wir allerdings genauso wenig sehen wie diese das Einschreiben, das der sich als Bote (Artur Vizer) verdingende Ex-Hornist der Oper ihr zuzustellen sucht. Geballten Frust mit einer gehörigen Portion Sarkasmus schiebt die suspendierte Lehrerin Sonja Baya (großartig: Stephanie Manz), die ihrer dahinsiechenden Mutter (Ute Eisfeld) die faulenden Knochen abhobelt, aber selbst nicht mehr lange zu leben hat. Das Positive kommt vom Rand dieser Randständigen, der bald wegziehenden Clownin Tschill, dem sich zurück zur Musik sehnenden Boten und Ellys dementem Vater, Dr. Brunk (zum Liebhaben: Kai Thomas). Der hat sein Glück im Stapeln von Brockhaus-Bänden gefunden und ist – Camus‘ Sisyphos lässt grüßen – deshalb auch nur kurz verbittert, wenn das geballte Wissen der Welt immer wieder umgestoßen wird.
Was für ein Haus, was für biestige Menschen, was für ein böses Stück, das trotz alledem eine Komödie bleibt, die Theresia Walser mit subtilem Witz, herrlichen Metaphern und skurrilen Dialogen zu einem hintergründigen Vergnügen macht, auch wenn man sich wundert, wenn Ada zu geistigen Höhenflügen à la »Schlechter Eichendorff ist meist Hesse« ansetzt. Bettina Sachs hat das Stück mit minimalem Requisiten-Aufwand und einer feinen Video-Projektion zur Szenenüberbrückung inszeniert. Den vergnüglichen Rest zu einem süffigen Theaterabend zaubert ein Ensemble, das sich mit sichtbarer Lust in sein Figurenspiel verbeißt. Gut so.
Der Theaterkeller präsentiert die schwarze Corona-Komödie »Kängurus am Pool«
