»Die Herrlichkeit des Lebens« von Georg Maas und Judith Kaufmann

Vom Kennen- und Liebenlernen

Eine lebenslustige junge Frau verbringt mit einer Gruppe von Berliner Kindern einen Tag am Strand, als dort ein hagerer, nicht mehr ganz so junger Mann im dunklen Anzug und mit Krawatte auftaucht. Bei der Dame handelt es sich um Dora Diamant und bei dem Herrn um Franz Kafka. Der Film erzählt die bewegende Liebesgeschichte von den beiden, die sich im Sommer 1923 am Ostseestrand kennenlernten. Kafka starb am 3. Juni 1924 – in einigen Wochen jährt sich sein Todestag zum hundertsten Mal.

Es spricht für den Film von Georg Maas und Judith Kaufmann, dass der Name Dr. Franz Kafka erst sehr spät fällt. Und auch von seinem wichtigen Freund Max Brod (Manuel Rubey) wird zunächst nur der Vorname genannt. Die Verfilmung eines Romans von Michael Kumpfmüller konzentriert sich zunächst auf das Kennen- und Liebenlernen eines jüdischen Paares in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und vermeidet, mit der Berühmtheit des Protagonisten hausieren zu gehen.
Kafka ist mit seinen Schreib- und Publizierhemmungen zu Lebzeiten ohnehin ein Geheimtipp gewesen. Sowohl bei Kumpfmüllers literarischer Verarbeitung wie auch bei deren Verfilmung kam es also auf eine sorgfältige Figurenzeichnung an. Es galt darzustellen, wie sich zwei recht unterschiedliche Temperamente anziehen, zusammenkommen und glücklich werden können, auch wenn die Zeit, die ihnen bleibt, absehbar kurz sein wird.
Franz ist mit seinen 40 Jahren wesentlich älter als Dora, und er hat Tuberkulose, damals ein Todesurteil. Dennoch schreckt Dora nicht zurück, sich zu verlieben und mit ihm eine möglichst unbeschwerte Zeit zu verbringen. Der Freund Max Brod wird später berichten, dass in Kafkas Berliner Wohnung immer eine lustige Stimmung war.
Sie ist von ihm fasziniert, obwohl sie das Wenige, was er bisher veröffentlicht hat, nicht kennt. Als sie ihn einmal beim Verfeuern alter Manuskripte antrifft und einen Blick auf eine Seite werfen kann, ist sie von der Qualität des Textes überrascht, den Franz für nicht gut genug hält. Der Schriftsteller hat für sie keine Bedeutung, sie liebt den aufrichtigen, etwas verschrobenen und doch charmanten Mann.
Beide sind im Judentum aufgewachsen, Dora in einer orthodoxen Familie, von der sie ins weltliche Berlin abgesprungen ist. Dennoch bleibt sie mit ihren Hebräisch-Kenntnissen der Religion verbunden. Franz stammt aus einer liberalen Prager Familie und ist ganz fasziniert, als Dora ihm die Schabbatregeln erklärt. Am Schabbat seien alle Tätigkeiten verboten. die in den Lauf der Dinge eingreifen. Auch das Schreiben sei Arbeit und schaffe eine Situation, die vorher nicht existiert. Die Regeln, zu denen auch die Ermunterung zur körperlichen Vereinigung der Ehepaare am Schabbatabend gehört, sollen das Familienleben stärken. Im Scherz fragt Franz nach dem nächsten Schabbat-Termin.
Henriette Confurius (»Schweigend steht der Wald«) als Dora Diamant und Sabin Tambrea (»In einem Land, das es nicht mehr gibt«) in der Rolle eines von seiner Krankheit gezeichneten Kafka sind klug gewählt – auch wenn die aus Polen bzw. Schlesien stammende Dora kaum das reine Hochdeutsch der Confurius gesprochen haben dürfte. (Mangelnde Dialekttreue ist ohnehin ein trübes Kapitel im deutschen Film jenseits der bayerischen Grenzen.)
Dass sich Dora für die Kommunistische Partei engagiert und in Deutschland die Inflation galoppiert, kommt am Rande vor. In Erinnerung bleibt, dass die Wirtin, bei der Franz in Berlin zur Untermiete wohnt, Doras Übernachten nicht duldet, weil das Paar nicht verheiratet ist und sie wegen Kuppelei belangt werden könnte.
Erst gegen Ende blitzt Kafkas literarische Bedeutung auf. Dann beginnt er mit der Niederschrift seiner berühmten Geschichte »Die Verwandlung«. Und als er in einem Sanatorium in Niederösterreich sein Ende nahen sieht und nicht mehr reden darf und kann, weil die Krankheit auf seinen Kehlkopf übergegriffen hat, schreibt er den berühmten Brief an Max Brod. Darin ordnet er an, dass alle seine unveröffentlichten Texte vernichtet werden sollen. Glücklicherweise hat Brod diesen letzten Willen nicht erfüllt.
Georg Maas und Judith Kaufmann, die auch die Kamera geführt und schon bei dem Film »Zwei Leben« zusammen mit Maas Regie geführt hat, haben es abgelehnt, aus der historischen Begebenheit und der Romanvorlage eine bittersüße Geschichte mit melodramatischen Höhepunkten zu inszenieren. Gerade dieses behutsame Vorgehen macht ihren Film sehenswert.

Claus Wecker
>> TRAILER
Die Herrlichkeit des Lebens
Liebesfilm von Georg Maas, Judith Kaufmann, D 2024, 98 Min.
mit Henriette Confurius, Sabin Tambrea, Manuel Rubey, Daniela Golpashin, Leo Altaras, Luise Aschenbrenner
Start: 14.03.2024

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