Die krasse Politsatire »The Totalitarians« beschließt die Spielzeit des English Theatre

Vielleicht wissen Leser dieser Zeilen ja auf Anhieb, welches die Hauptstadt von Nebraska ist. Oder wo dieser Bundestaat eigentlich liegt. Genau dort jedenfalls, im Nowhwere, spielt das Stück »The Totalitarians« des US-amerikanischen Autors Peter Sinn Nachtrieb. Der eine seiner beiden Erzählstränge, man darf auch »Narrative« lesen, handelt davon, wie eine überaus schlichte, naive, aber auch charismatische spätmittelalte Frau und ehemaliges Rollergateskate-Girl, drauf und dran ist, den Wahlkampf um den Gouverneursposten des Beef-States zu gewinnen. Verdanken tut sie das den populistischen Worthülsen und Losungen einer Redenschreiberin. Im zweiten Erzählstrang bekämpft ein obskurer politischer Aktivist die Kandidatin, weil er sie für eine Marionette von finstersten Mächten hält, die ausgerechnet Nebraska in einen totalitären Staat verwandeln wollen.
Dass Nachtrieb seine Farce vor Donald Trumps Kandidatur geschrieben hat – wir haben das alles schon im Juni-Strandgut stehen – macht sein kleines Bühnenwerk nahezu prophetisch, raubt ihm aber auch einen Teil seines Witzes. Wir wissen als Zeugen des aktuellen Verfahrens um den Kapitolsturm und einer dennoch wahrscheinlichen neuen Kandidatur Trumps einfach zu viel. Was sich 2014 noch – vom Beispiel der in Alaska erfolgreichen Republikanerin Sarah Palin inspiriert – als provokativ ausgenommen haben mag, ist längst von der Realität getoppt. Genauso, was die Bereitschaft von Menschen angeht, obskuren Verschwörungstheorien zu folgen.
Regisseur Mike Mineart hat deshalb sehr gut daran getan, seine Inszenierung im English Theatre noch mehr zu überdrehen, dem schon von Nachtrieb überzeichneten Bühnenquartett einen weiteren Schlag Schräge zu verpassen. Sarah Waddells alle überragenden Vollblondine Penelope Penny Easter tritt wie ein Cowgirl auf den Plan: laut, vulgär, raumgreifend, erfolgreiche Mutter mit nur einer Ausnahme, wie sie ehrlich betont, nur kaum in der Lage, unfallfrei einen geraden Satz zu sagen. Dafür engagierte sie die noch erfolglose PR-Frau Francine, der Katy Federman in scheußlichen Kostümen (Richard Evans) eine für den beim letzten Versuch PR-Karriere zu machen passend verhärmte Note gibt. Und siehe da: »Freedom from Fear« mobilisiert, ganz wie später »Make America great again« die Massen. Eine brillant vorgetragene Lehrstunde in Populismus wird dieser Part des mit Verve, Witz und Tempo arrangierten Schauspiels, für das auch die rasant zwischen Schlafzimmer, Wahlkampf-Office, Redetribüne und Arztpraxis wechselnde Drehbühne voll auf Touren kommt.
So auf Touren, dass man die etwas dünne Nebengeschichte gerne in Kauf nimmt, die Francines sich nach einem Kind und Zweisamkeit sehnenden Arztgatten Jeffrey, von Mark Hammersley auf Woody Allen getrimmt, und seinen psychisch labilen Patienten Ben (Nikolas Salmon) ins Spiel bringt, dem Jeffrey nicht zu sagen in der Lage ist, dass er nur noch wenige Tage zu leben hat. Der mehr chaotische als anarchistische Ben dagegen schafft es Jeffrey zu überzeugen, dass auch Francine den skrupellosen »Totalitarians« dient.
Es kommt, viel mehr verraten wir nicht, zum bloody, bloody showdown, bei dem sich auch – wir sind ja nicht blöd – erklärt, weshalb der Autor »Penny« wiederholt betonen lässt, dass sie vier tolle Kinder hat – von fünfen. Dieses Konstrukt gehört mit der überflüssigen Idee, beiden Seiten queere Neigungen unterzujubeln, zu den Schwächen der textlichen Vorlage, die Regisseur Mineart aber – Kompliment dafür! – gekonnt kaschiert mit einem schrillen, schnellen und wie im Flug vorübereilenden Treiben , das sich mit Igor Trkuljas Glossar an dreckigen Redewendungen im wieder großartigen Programmheft auch für Nichtmuttersprachler bequem verfolgen lässt.

Winnie Geipert / Foto: © Kaufhold

Bis 24. Juli: Di.–Fr., 19.30 Uhr; So., 18 Uhr
www.english-theatre.de

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