Satte elf Tage »Sommerwerft« stehen im August noch an. Es ist die 23. Ausgabe des immer größeren, immer bunteren, immer internationaleren, aber auch immer komplexer und deshalb schwieriger zu realisierenden Umsonst-Festivals an der Weseler Werft, hibbedebach also am nördlichen Mainufer. Bernhard Bub hat die deutschlandweit einmalige Veranstaltung im Bestreben, in Frankfurt einen Ort für nahbares Theater zu schaffen, mit dem Verein protagon 2002 ins Leben gerufen. Mit seinem Verständnis von Theater im öffentlichen Raum hat er Hilmar Hoffmanns hehren städtischen Slogan einer »Kultur für Alle« nicht nur beim Wort genommen, sondern auch – ganz im Sinne von Karl Marx – vom Kopf auf die Füße gestellt. Dass das aus Frankfurt nicht mehr wegzudenkende Event der Gegenkultur parallel zur Errichtung des EZB-Turms und der diesen umsäumenden Edelimmobilien entstand, hat freilich einen gewissen Charme.
Was mit Avanti Dilettanti und aufs Geratewohl begann und erst über drei Wochen dauerte, ist inzwischen freilich weithin professionell organisiert: Zwischen 26. Juli und 11. August stehen 230 Veranstaltungen mit 450 Künstler*innen aus aller Welt auf dem Programm, rund 400 Leute sichern das Drum und Dran, 300 davon tun das völlig »ehrenamtlich« als Helfer etwa an den Ständen auf dem sich über rund 350 Meter streckenden Areal zwischen Flößerbrücke und dem sogenannten Tiefkai der alten Weseler Werft.
Exakt 623.000 Euro kostet laut Bernhard Bub der 17-tägige Spaß, von denen dreiviertel durch Förderungen der Stadt und anderer Institutionen wie dem Kulturfonds sowie durch Spenden abgedeckt sind, um die restlichen 160.000 werde sich noch »gekümmert« – same procedure as every year. Rund 70.000 Besucher wurden im vergangenen Jahr gezählt, weniger werden es gewiss auch in diesem Jahr nicht sein, gutes Wetter vorausgesetzt. Anders als früher gehen die erbetenen Spenden nicht mehr direkt an die seit Corona finanziell abgefundenen Künstler, sondern an das Kollektiv.
Freilich zielt die Sommerwerft von jeher nicht auf Massen-Entertainment, sondern auf die kulturelle Teilhabe im öffentlichen Raum und die Schaffung einer künstlerischen Plattform für relevante gesellschaftliche Diskussionen. Ganz wie die nun als Peace Parade bestrittene traditionelle Kulturinvasion von der Hauptwache zur Weseler Werft, die es immer zum Auftakt gibt, werden sich viele der künstlerischen Beiträge auf das diesjährige Motto »Friedenskultur« beziehen.
Nun aber zum Festival, das sein Flair so richtig entfaltet, wenn es das Publikum bei langsam anbrechender Dunkelheit wie vom Magnet gezogen zum Spielplatz in die Mitte treibt, um mit wachsender Spannung den auf exakt 21.45 Uhr terminierten Auftritten der großen Ensembles entgegenzufiebern. Dazu gehört das aus der Emilia Romagna anreisende Teatro Nucleo mit seiner berührenden Schau »Quijote«: Eine bildmächtige Inszenierung mit Wasserspielen, Pyrotechnik, Musik, Tanz und Jonglagen, die nicht nur den edelmütigen Ritter von trauriger Gestalt und seinen Knappen Sancho Panza, sondern auch Rosinante als mechanisches Gefährt wiederbelebt (10. August). Aus Sardinien kommt das Teatre en Vol mit einer Persiflage »Il Grande Spettacolo della Fine del Mondo«, die vom Klimaschutz, aber mehr noch von einem uns durchaus bekannt vorkommenden Verhalten vieler Klimaschützer erzählt – grotesk, tragikomisch, ironisch und bitterbös (7.). Bekannter sind die aufwändigen und opulenten Stücke des antagon-Ensembles, das im August noch drei Mal zum Heimspiel einlädt. Neben dem an Euripides Troerinnen angelehnten Migrations-Stück »Diaspora« und der sehr poetischen Auseinandersetzung mit dem Werdegang der 68er-Bewegung in »Der Traum einer Sache«, stellt die Gruppe auch ihre den Zustand der Welt reflektierende jüngste Arbeit »Ashes« (1.) vor: mit Puppen, Masken, physischer Präsenz und Livemusik.
Das 126 pralle Seiten füllende Sommerwerft-Programm hat freilich ein Vielfaches zu bieten und basiert dabei auf der gewachsenen Kooperation mit vielen Kulturschaffenden der lokalen Szene. Ein weit (und weiter) ausgedehntes Kinderprogramm mit eigener Bühne, die das Theaterhaus Frankfurt mitkuratiert, eine zweite sensationelle Dance-Night (5.), für die das ID_Tanzhaus im Frankfurt-Lab sorgt, Silent Cinema (Kopfhörer) mit der Pupille, jede Menge Performances, Soli und Theaterstücke auf der Bühne (West), auf dem (zweiten) Theaterplatz Ost oder wo auch immer im Gemenge (Kulturfreiraum). Hinzu kommen das Beduinenzelt als Tempel für tägliche Singer-Songwriter-Konzerte, zirka 30 Workshops sind ausgeschrieben (plus elf für Kinder), eine Queer-Night (8.), den sonntäglichen Flow-Markt und vieles mehr. Nicht auslassen darf man die Schiffbar »Porto Brazil«, wo es nicht nur köstliche Drinks und Tanz, Musik, Performances im Übermaß gibt, sondern auch eine beeindruckende Fotoausstellung über den Kampf um den Aufbau einer Schule für Indigene in Brasilien.