Each man kills the thing he loves – Zu Jean Genets »Die Zofen«

»Der real existierenden Brutalität setzt Jean Genet die Idee der Gewalt gegenüber, dem wirklichen Mord die Idee des Mordens, der herrschenden Unterdrückung einen Herrschaftstraum. Und das ist ja wohl der eigentliche Skandal, das müssen wir ja von uns abweisen, zur Literatur erklären – was sonst?« So geschrieben im Jahr 1980 anlässlich des 70. Geburtstages des Dramatikers und Autoren. Des Homosexuellen, der aus dem Gefängnis kam, des aus Erziehungsanstalten Geflüchteten, den Fremdenlegionär, den Visionär, »Saint Genet«, wie ihn Sartre damals nannte. Ein Poet der Unterdrückten, der sich selbst ständig in Frage stellte. Die nach systemsprengenden Impulsen dürstende Kulturavantgarde betete ihn, den Systemsprengenden, damals an.
Quälender Traum, entsetzliche Ideen. Aber nicht Wirklichkeit, auch nicht in »Die Zofen«. Denen, so wird kolportiert, ein realer Fall zu Grunde lag – zwei Schwestern hatten ihre Dienstherrin ermordet – was Jean Genet als Inspirationsquelle aber stets zurückgewiesen hatte. Er hingegen taucht in seinem Stück ab ins tiefe Herz der äußeren und inneren Abhängigkeiten, in dem Traumata und gesellschaftlich verformtes Über-Ich die Hand zum Tanz sich reichen und die Revolte in Selbstzerstörung mündet. Höllenkeller, die der Traum gebiert, der Traum von Herrschaft, der Traum vom Morden. Es sind Träume, in denen man eingesperrt ist wie in einem Verlies.
Man könnte meinen, genau dieses Motto hat Rieke Süßkow jetzt ihrer Inszenierung der »Zofen« im Kammerspiel Frankfurt vorangestellt. Sie lässt nicht einen Funken Wirklichkeit scheinen in diese düsterlila eingefärbte Bühne aus Kästen und Schachteln, aus geschlossenen Eingängen und Treppen, die zu Unterbühnen führen (Bühne: Mirjam Stängl). Hermetisch abgeschlossen. Schlüssel weg. Ausweg auch. Nur die grell ausgeleuchteten Fetische sind reale Spielzeuge für die Fantasie: Glitzerstöckelschuhe, das Telefon, Kommode, Wecker, Roben, Abendkleider, Mäntel, wie sie Heinrich VIII. zu tragen pflegte.
Was kann man da vom Personal erwarten? Solange und Claire, das dienende Schwesternpaar, und auch die »Gnädige Frau«, die im Stück keinen Namen trägt, ebenso wenig wie der »Gnädige Herr« sind ausnahmslos in lila Bodys und fleischfarbene Trikots gepresst, ein bisschen schwarze Lackschürze drüber, schwarze Lackschuhe, blaue Gummihandschuhe, Fetisch auch hier (Kostüme: Sabrina Bosshard). Über ihre Köpfe sind Gummimasken gestülpt. Ein surreal verfremdeter Raum, in dem nahezu entindividualisierte Figuren agieren. Und doch: gerade in diesem Rahmen sind Reste von Menschlichkeit zu spüren, Reste von Selbstbewahrung, von Identität. Obwohl die sich im Stück ja ständig auflöst: Die Rollen wandern von einer Person zur anderen, von Solange zu Claire zur Gnädigen Frau zum Gnädigen Herrn und wieder zurück. Die Konstruktion einer Herrschaftsbeziehung wird hier nivelliert als Traum mit der Potenz eines Albtraums. Drei Schauspielerinnen, hier: vier Rollen. Die Lust an der Unterwerfung, der erotische Schauer der Demütigung, das Spiel mit dem Schmerz, das demonstriert schon die Eingangsszene mit einem Gummihandschuh, halb Erstickung, halb Selbstbefriedigung, die in eine nicht auslotbare Zwischenzone herabreicht.
Es ist Aleksandra Corovic, Katharina Linder und Nina Wolf zu verdanken, dass diese seltsam kostümierten Figuren mit ihrem Spiel berühren, ja, sie berühren mich sogar mehr, als würde jetzt ein irgendwie »realistisches« Spiel im Spiel veranstaltet, ausgegeben als »Labor«, von real agierenden Schauspieler*innen, das einen ja doch wieder auf Distanz hält. Die Formelhaftigkeit der Inszenierung läuft dem zuwider. Die Konflikte werden nicht von Personen auf der Bühne ausgetragen, sondern wo genau? Süßkow transformiert hier die Figuren zu etwas Überpersönlichem, das plötzlich zwischenpersönlich wird.
Zur Handlung: Die beiden Dienstmädchen (Bonne hat im Französischen die Doppelbedeutung von »Zofe« und »Gute«). Solange und Claire proben in einem ritualisierten Ablauf den Mord an ihrer »Gnädigen Frau«, und sie offenbaren in diesem auch fetisch-behafteten Spiel, wie sehr die internalisierte, auch sexuelle Unterwerfung sie erregt. Doch in ihren Spielen kommen sie nie zum Abschluss, also zum tatsächlichen Mord. Eigentliches Objekt der Verletzung ist die jeweils andere, und so macht es auch Sinn, dass Süßkow die Machtkonstellation »Zwei Zofen, eine Gnädige Frau« umwirft zugunsten eines Quartetts, zu dem noch der Gnädige Herr hinzukommt. Solange und Claire haben in einem Brief an die Polizei den Geliebten der Gnädigen Frau des Diebstahls denunziert, und ebenso aus der Zeit – irgendeiner Zeit – gefallen vermuten sie, das er auf eine Strafkolonie in Guyana verbracht wird. Süßkow unterlegt diese phantasierte Manon-Lescaut-Szenerie mit romantischer Klaviermusik (Philipp Christoph Mayer). Doch der Herr kommt frei, sie schaffen es (erneut) nicht, der Gnädigen Frau habhaft zu werden und sie umzubringen. Sie bringen sich selbst um. Oder nicht?
Aus einem zeitlichen Nirgendwo kommt dieser Text, dieser entsetzliche Text, aus diesen verformten Mündern, vom Takt des Weckers ausgelöst wie auch die Körperhaltungen, Bewegungen, die im Puppenhaften steckenbleiben. Aber da ist noch etwas Anderes, etwas, was unter der Textfläche liegt und auf der Bühne trotz – oder vielleicht gerade wegen – aller stilistischen Verfremdung hervorragend erspielt wird: Die Routine und das Perpetuum Mobile der Verletzung, des Mordes, der Gedanken daran. Die Inszenierung trägt dieser Idee in ihrem durchkomponiertem Konzept Rechnung. Sie verschwindet nicht mit dem Schlussapplaus. Each man kills the thing he loves.

Susanne Asal / Foto: © Jessica Schäfer
Termine: 4., 21., 26. Juni, 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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