Ein Globalisierungstraum – »Black Tea« von Abderrahmane Sissako

Am Anfang sehen wir einer einsamen Ameise beim Sterben zu, dann gibt es Zierfische in einem Aquarium, bunte Vögel, etwas derrangierte Goldfische, und am Ende sind wir wieder bei der Ameise. In eine Kirche in der Elfenbeinküste, wo Aya heiratet, oder auch nicht. Einen Kerl, mit dem sie ein Leben auf Lügen aufbauen muss. Und die Leute ringsum, die erwarten, dass alles nach den Regeln verläuft, sie scheinen sich mit einem Lügensystem, bis in die Details der Kleidung hinein, abgefunden zu haben. Aber Aya haut ab. Und zwischen Ameisen, Fischen und Vögeln erlebt sie ein Abenteuer der Globalisation, der Teezeremonie und der Liebe.

Eine Geschichte mit zarten und mit heftigen Aspekten, mit Bitterniss und Utopien, wie einen Traum, in den immer wieder Partikel der rohen Wirklichkeit hereinbrechen.
Abderrahmane Sissako ist ein großer cineastischer Poet der Globalisierung. Ihn treibt es, wie seine Figuren, in der Welt herum; einer seiner Filme, »Heremakono«, aus dem Jahr 2002 hat den deutschen Titel »Die Reise ins Glück«. Aber eigentlich könnten alle seine Filme diesen Titel tragen: Die Reise ins Glück (und warum sie in Wirklichkeit nicht gelingen kann).
Von so einer Traum-Reise ins Glück erzählt auch »Black Tea«. Erst einmal eine sehr einfache Geschichte, Aya (Nina Mélo) soll mit Anfang 30 in ihrer Heimat, Elfenbeinküste, verheiratet werden. Aber an ihrem Hochzeitstag ergreift sie die Flucht und tritt eine sehr weite Reise nach China an. In Guangzhou, der 16-Millionen-Stadt, die man abfällig »Chocolate City« nennt, weil es eine afrikanische Diaspora inmitten der chinesischen Gesellschaft gibt, findet Aya Arbeit in einem Geschäft, das auf schwarzen Tee spezialisiert ist. Später wird man sogar ihr selbst diesen Namen geben, Black Tea. Hier lernt sie den fünfzehn Jahre älteren Chinesen Cai (Han Chang) kennen (schon der Name erinnert an das, was sie verbindet, etwas, das ein Getränk ist, oder ein Kult, oder ein bestimmter Zustand der Empfindung). Ihre Liebe zueinander ist ganz entsprechend von konzentrierter Erregung nach achtsamer Vorbereitung. Aber da sind die Schatten der Vergangenheit und immer noch die Ablehnung des Fremden, obwohl es in dieser Welt keinen offenen, vulgären Rassismus zu geben scheint, Alltag und Feste zwanglos chinesische, afrikanische und arabische Elemente miteinander verbindet. Auch Wang hat seine Globalisierungsgeschichte: Vor Jahren lebte er auf den Kapverdischen Inseln, wo er mit der Mutter seines mittlerweile erwachsenen Sohnes ein Restaurant führte. Zur gleichen Zeit hatte er eine Affäre mit einer kapverdischen Frau, die er nun endlich wiedersehen möchte, ein Traum in einem Traum ist seine Reise dorthin. Immer geht es um Vertrauen, das Fremdheit überwindet, und um Fremdheit, die das Vertrauen zerstört.
Globalisierung und Migration erscheint in »Black Tea« als Blick in eine Zukunft, in der die Bewegungen der Menschen der Normalfall sind. Der Tee ist dabei ebenso ein Objekt der Handelsströme wie eine kulinarische Sprache zwischen den Kulturen. Ayas Leben in China ist um die Teezeremonie und die Erforschung der Tee-Geheimnisse zentriert, ihre Welt dort in der Mega-City ist bemerkenswert klein und strukturiert; wie Boxen oder Bühnen sind die Schauplätze zueinander offen, der Friseurladen, das Koffergeschäft, die Stoffe, der Teeladen, das Restaurant. Es gibt Figuren, die hauptsächliche für die Verbindung dieser Räume zuständig sind, so wie andere für die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart. Oder handelt es sich doch um eine mögliche Zukunft?
»Black Tea« ist ein unglaublich schöner, manchmal selbst ein wenig zeremonieller Film, der die Möglichkeit des Trügerischen immer in sich trägt. Was, wenn das alles nur Ayas Traum von einer Reise ins Glück wäre. Zu groß sind die Sprünge, zu rasch ist man in der anderen Sprache zuhause, als wäre sie einem schon zur Natur geworden, zu sehr ist alles auf eine intime Innenansicht konzentriert, in der jedes Ausstattungsdetail ganz sacht die Grenze der Alltagswirklichkeit überschreitet, zu geometrisch die Liebesgeschichte, um all das als wirkliches Geschehen zu akzeptieren. Was ist Liebe, was Identität, was Familie und was Freundschaft in der Zeit der Globalisierung? Dabei verschweigt »Black Tea« weder den alten noch den neuen Rassismus, und in den wiederkehrenden Aufnahmen durch Gitter, Fenster, Vorhänge und Pforten, ist zu erkennen, dass Globalisierung nicht unbedingt Weite bedeutet. In der Welt der Globalisierung müssen Menschen selber werden, was sie sein wollen. Sie brauchen Farbe, Licht und Bewegung dazu; »Black Tea« ist nicht nur in den entsprechenden Szenen auch ein Tanz-Film. Und die Sprachen verhalten sich oft musikalisch zueinander, chinesisch, französisch, englisch, portugiesisch und immer wieder Verbindungen davon. Als sich am Ende der Kreis zu schließen scheint, Aya wieder vor dem Bürgermeister steht und ihr Ja-Wort geben soll, bleibt ihr nur das Zögern. Jede Veränderung beginnt damit, dass jemand zögert.
Vielleicht werden gerade durch die stilisierten und überhöhten Traum-Bilder die wahren Tragödien und Grotesken der Globalisierung nur umso deutlicher. Die Verpackung und Zubereitung von Tee, die der Film in so erlesenen Bildern zeigt, erscheinen wie eine künstliche Ordnung in einer chaotischen Welt. Und so haben wir einen Film vor uns, der seiner eigenen Schönheit nie ganz traut. Aber da es sie gibt, ist nicht alles verloren.

Georg Seeßlen / Foto: © Pandora Film, Foto Olivier Marceny Cinéfrance Studios Archipel 35 Dune Vision
>>> TRAILER
Black Tea
von Abderrahmane Sissako, F/L/RC/RIM 2024, 149 Min., mit Nina Mélo, Han Chang, Ke-Xi Wu, Michael Chang, Pei-Jen Yu
Drama
Start: 19.06.2025

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