»Eine Frage der Würde« von Stephan Komandarev

Die Grabstelle sei eine einmalige Gelegenheit, nah an der Bushaltestelle gelegen und zu einem günstigen Preis zu haben, sagt der Bestattungsunternehmer (Stefan Denolyubov). Er steht mit der gerade zur Witwe gewordenen Blaga Naumova (Eli Skorcheva) an einem verwahrlosten Grab in der bulgarischen Stadt Schumen, das nicht gerade attraktiv ausschaut. Doch die 70-Jährige hat große Pläne: Ein wunderschönes Grab für ihren Mann soll dort entstehen, so groß, dass auch sie selbst darin ihre letzte Ruhe finden wird.

Die ehemalige Lehrerin für bulgarische Literatur hat vorgesorgt. Sie war ihr Leben lang sparsam, ihre schmale Rente von 560 Lew (knapp 280 Euro) bessert sie mit Nachhilfe auf. Ihr Erspartes liegt im Wohnzimmerschrank. Das Grab soll offenbar unter der Hand mit Bargeld bezahlt werden.
Am Tag vor dem Kauf erhält Blaga einen Anruf von einem Inspektor Kolew von der Kriminalpolizei. Sie solle ihm ihre Handy-Nummer geben, denn gleich werde sie von einem gefährlichen Verbrecher auf dem Festnetz angerufen, der ihr Geld und ihre Wertsachen rauben wolle. Darauf solle sie eingehen, das Haus sei von Polizei umstellt, man müsse die Gangster auf frischer Tat ertappen. Ihr Geld bekomme sie natürlich zurück.
Blaga ist zunächst skeptisch – ihr verstorbener Mann war Polizist. Aber zwischen ihrem Handy, auf dem sie von Kolew klare Anweisungen bekommt, und dem Festnetztelefon, auf dem sie unverschämt bedroht wird, hin- und hergeschreckt, wirft sie am Ende ihr Geld vom Balkon. »Legen Sie nicht auf!« hatte sie der vermeintliche Inspektor angewiesen. (Allgemein gilt: Wenn man diesen Satz von einem dubiosen Anrufer hört, sollte man sofort auflegen.)
Doch bei der örtlichen Polizeidienststelle ist ein Inspektor Kolew unbekannt. Das Geld ist weg, und Blagas Ruf als eine seriöse Lehrerin ist dahin, zumal sie sich als Betrugsopfer in einer Informationsveranstaltung zur Verfügung gestellt hat. Nur eine hübsche Frau (Rozalia Abgarian), die aus einem Kriegsgebiet geflohen ist und Bulgarisch für îhr Einbürgerung lerntl, bleibt ihr als Schülerin. Als diese mit Blaga ihre Einbürgerung feiern will, macht sie am tiefschwarzen Ende des Films mit der bulgarischen Realität eine schlimme Erfahrung.
Geld leiht ihr weder die Bank noch ihr Sohn (Gerasim Georgiew), der ihr Vorwürfe macht. Ein ehemaliger Schüler, dem sie prophezeit hat, er werde es nie zu etwas bringen, taucht als Schuldenberater eines wohl zwielichtigen Geldverleihs bei ihr auf.
Zu ausreichend Geld kommt sie erst, als sie selbst Kurierdienste für eine – eventuell sogar die gleiche – Betrügerbande übernimmt. Fortan beobachtet sie selbst, wie eine alte Frau ihr Erspartes im Plastikbeutel neben einem Müllkontainer ablegt, oder sie holt einen heruntergeworfenen Beutel ab. Das seien wohl Zeiten heutzutage, wenn man so zu Geld kommen müsse, sagt ihr Kontaktmann am Handy. Es ist kurioserweise der markanteste politische Kommentar im gesamten Film.
Man kann »Eine Frage der Würde« – der Originaltitel heißt übersetzt »Blagas Lektionen« – als eine kritische Beschreibung der postsowjetischen Zustände in Bulgarien (und anderen osteuropäischen Ländern) ansehen, in denen Rentner um den Lohn ihrer Lebensleistung gebracht werden. Der moralische Kompass scheint verloren, wenn man sich in dieser Welt durchschlagen muss. Und so gesehen, fällt es schwer, Braga zu verurteilen.
Für den Film, den Bulgarien zur Oscar-Verleihung eingereicht hat, spricht aber besonders, dass er von dem hierzulande noch wenig bekannten Stephan Komandarev schnörkellos inszeniert ist. Bei diesem spannenden und hintergründigen Thriller fiebert man für eine Frau mit, die sowohl Opfer als auch Täterin ist. Mit der Darstellung dieser ambivalenten Figur feierte die bulgarische Schauspielerin Eli Skorcheva ihr Kino-Comeback. Für ihre Leistung gewann sie 2023 den Preis als »Beste Schauspielerin« auf dem Filmfestival in Karlovy Vary.

Claus Wecker / Foto: © Svetoslav Stoyanov
>>> TRAILER
EINE FRAGE DER WÜRDE
von Stephan Komandarev, BG/D 2023, 119 Min., mit Eli Skorcheva, Ivan Barnev,
Gerasim Georgiev, Rozalia Abgarian,
Stefan Denolyubov, Ivaylo Hristov
Drama / Start: 25.01.2024

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