»Eine Nacht in Helsinki« von Mika Kaurismäki

Nachdem die Kamera die drei Protagonisten auf ihren Gängen durch die menschenleere Innenstadt von Helsinki begleitet hat, konzentriert sich der Film auf den Gastraum eines Restaurants: »Eine Nacht in Helsinki« ist ein Kammerspiel. Große Theatralik ist nicht zu erwarten, schließlich handelt es sich bei den drei Männern um introvertierte Finnen, die einander ganz allmählich und in aller Ruhe ihre Probleme anvertrauen.
Da ist zuerst der Wirt Heikki (Pertti Sveholm), der einen Kanister Benzin ins Lager gestellt hat, was Anlass zu leisen Befürchtungen gibt. Zögerlich schließt er einem alten Freund, dem Krankenhauspfleger Risto (Kari Heiskanen), die Türe auf. Er habe zwar wegen der Pandemie geschlossen, aber Risto benötigt dringend etwas zu trinken, und so bekommt Heikki Gesellschaft bei seinem Abendessen.
Beide leeren ein Flasche Rotwein (den sehr guten), und wie sie so beisammen sitzen, kommt der nächste Gast herein, der sein Handy aufladen will. Juhani (Timo Torikka) erwartet den Anruf seiner Tochter, die gerade damit beschäftigt ist, ihr erstes Kind zur Welt zu bringen. Weil er hartnäckig bleibt und sich nicht abwimmeln lässt, komplettiert er schließlich die Dreier-Runde.
Jeder hat sein Problem. Corona hat Heikki in den finanziellen Ruin getrieben, Ristos Ehe steht kurz vor dem Ende, und Juhani scheint etwas zu verbergen, das mit dem gewaltsamen Tod eines Mannes zu tun hat – der Vorfall wird gerade in den Nachrichten gemeldet.
Später kommt noch eine kleine Gruppe angetrunkener junger Leute herein, nach einigem Hin und Her werden sie mit ein paar Flaschen Corona-Bier, die aufs Haus gehen, wieder hinauskomplimentiert. Vermutlich sind sie auf dem Heimweg von einer Privatfeier zum 1. Mai, an dem in Finnland der Beginn des Sommers gefeiert wird. Dass Heikki die Eingangstür hinter Risto nicht wieder abgeschlossen hatte, ist mit seinem unbewussten Wunsch nach Gesellschaft zu erklären.
Am Ende ist es Ristos Ehefrau Eeva (Anu Sinisalo), die hinzukommt und ihren Mann zu einer Aussprache zwingt. Mit ihrem Gefühlsausbruch löst sie die Blockierungen der Männer, und auch die beiden, die nicht an dem Ehedrama beteiligt sind, zeigen am Ende Anteilnahme am Schicksal des anderen.
»Eine Nacht in Helsinki« ist ein typischer Mika-Kaurismäki-Film geworden, weil er aktuelle Themen aufnimmt, um aus ihnen mit viel Empathie zu seinen Protagonisten eine Geschichte zu entwickeln. Anstatt eines ausgearbeiteten Drehbuchs hat er die Geschichte vorgegeben und seine Schauspieler improvisieren lassen. Sie mussten wie in einem realen Gespräch auf ihren Partner reagieren. Mit dieser Methode wollte er möglichst viel Wirklichkeit ins fiktionale Geschehen bringen. Man braucht schon viel Erfahrung, wenn ein solches Verfahren einen sympathisch unspektakulären Film ergibt.

Claus Wecker (Foto: © Arsenal Filmverleih)

EINE NACHT IN HELSINKI
(Yö armahtaa / Gracious Night)
von Mika Kaurismäki, FIN 2020, 90 Min. mit Timo Torikka, Pertti Sveholm, Kari Heiskanen, Anu Sinisalo, Maria Kaurismäki
Drama
Start: 20.01.2022

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