»Else Meidner. Melancholia« im Jüdischen Museum

Wie ist das, wenn man jemandem gegenübersteht und die Person weigert sich, einen anzusehen? Sie blickt nach unten, schlägt die Augen nieder, verbirgt sie hinter den Händen, hält sich die Augen buchstäblich zu? Genau das passiert, wenn man den Zeichnungen von Else Meidner gegenübersteht, die jetzt im Kabinett des Jüdischen Museums ausgestellt sind, Zeichnungen aus Tusche, Fettkreide, Kohle, und fast ausnahmslos sind es Frauenporträts. Die Umrisse gestrichelt, schraffiert, nie klar definiert, in Grau-Weiß-Schwarz modelliert, fast wie aus dem Papier heraus skulptiert. Gesichter und Konturen lösen sich in Schraffuren auf. Stets dasselbe Format, stets derselbe Untergrund … Das hat etwas Wildes, Trauriges. Ungezähmtes. Und Abweisendes.
Else Meidner (1901–1987) war eine hübsche junge temperamentvolle Frau, der Kopf gekrönt von eine wilden Lockenmähne, als sie mit dem Kunststudium begann. Sie hatte bedeutende Vorbilder – die alten Meister – und bedeutende Mentor*innen: Käthe Kollwitz, Max Slevogt und Ludwig Meidner. Ihn, ihren Lehrer, heiratete sie. Stilistisch wollte sie in keine Schublade eingepasst werden, obwohl der wilde Expressionismus, die neue S8achlichkeit als revolutionäre Kunstbewegungen gerade en vogue waren. Und es ist nicht so, dass sie nicht auch auf diesem Gebiet reüssierte, dass sie nicht auch zynisch-traurige, giftfarbige Menschenszenerien entwerfen konnte wie Bühnenbilder für die Opern von Berthold Brecht.
Doch diesem Aspekt galt nicht ihr Hauptaugenmerk, wie die kleine Ausstellung im Kabinett des Jüdischen Museums jetzt zeigt. »Melancholia« nennt sie sich und der Titel malt die Geschichte vor: Else und Ludwig, der aus einem streng jüdischen Haushalt stammt, können – jung noch – ihre künstlerischen Karrieren in Nazi-Deutschland nicht verfolgen, Meidners Bilder werden als entartet eingestuft, man hatten keinen Zugang zu Galerien, nicht einmal zu Materialien. 1932 noch konnten sie Ausstellungen im Jüdischen Kulturbund bestreiten. Diese Karrieren endeten abrupt in der Emigration. 1938 hatten beide begonnen, bei den Kindertransporten mitzuhelfen, ein Jahr später sollten sie selbst nach London emigrieren. Das Leben dort war nicht leicht, finanziell sowieso. Keiner hatte auf jüdische Künstler gewartet, ihre Kontakte begrenzten sich auf die jüdische Exilgemeinde. »Es gibt Pflanzen, die überall gedeihen, wenn man sie verpflanzt, aber ich konnte nie mehr neue Wurzeln schlagen. Meine Wurzeln sind in Berlin geblieben«, schrieb sie einmal.
Liegt es da nicht nah, sich in sein Innerstes zurückzuziehen, zu zweifeln, zu trauern, sich zu befragen? Und so sind diese Zeichnungen, die sich über die Jahrzehnte nur in Nuancen ändern, auch ein Spiegel des Frau-Seins, der Einsamkeit, des In-Sich-Verkapseltseins, der starken Gefühle. Die Porträts nehmen nie die gesamte Fläche des Blattes ein, sie sind wie zusammengedrückt, fast klaustrophobisch, der Lebensradius wirkt eingeschränkt.
Nur die jüngeren Selbstporträts aus den späten 1950er Jahren zeigen Else Meidner ganz anders. Offene Augen, offene Locken, selbstbewusst aufgestütztes Kinn. Ihre sinnliche Schönheit ist auf einmal das Thema. Wie befreiend wirken diese Zeichnungen plötzlich.
Es gibt wenig biografisches Material zu Else Meidner, zu ihrer Familie oder ihrem Eingebundensein in soziale Zusammenhänge außerhalb ihrer Familie. Ludwig Meidner kehrte in den 1950er Jahren nach Deutschland zurück, Else blieb in London. Er hat sie bis zum Schluss unterstützt, denn ihre Einkünfte als Malerin blieben kärglich. Das Jüdische Museum bringt uns nun eine weitere Künstlerin »zurück ins Licht«. Es ist so wichtig!

Susanne Asal / Foto: Else Meidner, Selbstporträt mit aufgestütztem Kinn, um 1925
© Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Herbert Fischer
Kabinettausstellung im Raum »Kunst im Exil«, bis 2. März 2025: Di., Mi., Fr., Sa., So., 10–17 Uhr; Do., 10–20 Uhr
www.juedischesmuseum.de

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