Eigentlich fährt man immer mit einem guten Gefühl zu den Premieren des Jungen Staatsmusicals nach Wiesbaden. Weiß man doch, dass das von Regisseurin und Choreographin Iris Limbarth seit 2000 geleitete Ensemble jedes Mal mit einer Spielfreude aufwartet, die einen in Staunen versetzt.
Denn sie alle sind keine Profis, üben in ihrem »wahren Leben« einen ganz »normalen Beruf« aus oder tasten sich als Schüler bzw. Studentinnen an eine eventuelle Bühnenkarriere heran. Für diese Nachwuchsförderung wurde Iris Limbarth 2022 mit dem Deutschen Musical Theaterpreis ausgezeichnet. Vielleicht hat ihr guter Ruf auch die Rechteinhaber bewogen, das 2018 im Münchener Werk 7 uraufgeführte und dann 2023 von der Frankfurter Showslot-Company auf eine Tournee-Produktion durch den deutschsprachigen Raum geschickte Musical »Fack ju Göhte« erstmals einer städtischen Bühne anzuvertrauen. Denn die Erwartungen an das Stück nach dem gleichnamigen Kino-Kassenschlager von 2013, der es auf über 7 Millionen Besucher brachte, hatten sich nicht erfüllt. Insgeheim hatte man wohl auf ein »Starlight Express« fürs jugendliche Publikum gehofft.
Aber dazu hätte es mehr bedurft, als nur den ständig unter der Gürtellinie angesiedelten Tonfall der derben Pennäler-Komödie zu reproduzieren. Inflationär wirft Kevin Schröders Libretto mit den Wörtern »ficken« und »blasen« um sich, und auch Nicolas Rebschers und Simon Triebels Kompositionen verwöhnen nicht die Ohren. Das Werk ist nicht gerade ein Gewinn für die deutsche Musicallandschaft. Paradoxerweise muss man ihm zugutehalten, dass die Songs – auch wenn sie nicht gerade großes Musical-Talent atmen – den Figuren ein wenig mehr Tiefe verleihen, als sie die allzu oberflächlichen Film-Figuren besaßen.
Und damit wären wir wieder bei der ausufernden Spielwut des Ensembles, das die Schwächen des Stücks weitgehend überspielt, mit schönen Stimmen die Songs veredelt und die fetzigen Choreographien von Iris Limbarth adäquat umsetzt.
So begleiten wir den Kleinkriminellen Zeki Müller (gewohnt souverän von Tim Speckhardt, dem »Alterspräsidenten« der Truppe, dargestellt) bei seinem Versuch, die vor seiner Gefängnisaufenthalt verbuddelte Beute auszugraben. Blöd nur, dass über dem Versteck mittlerweile eine Schul-Sporthalle steht. Also bewirbt er sich auf die gerade freie Hausmeisterstelle des Gymnasiums, um unauffällig seinen Schatz zu bergen. Doch durch ein Mißverständnis stellt ihn die überforderte Rektorin Gerster (Katharina Hoffmann herrlich verpeilt und ständig Klebstoff schnüffelnd:) als Aushilfslehrer ein und teilt ihn der Problemklasse 10b zu. Wider Erwarten erkennt Zeki seine Berufung und auch die Zuneigung zu seiner von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Kollegin Lisi Schnabelstedt (Viktoria Reese wunderbar verhuscht). Das zentrale Darsteller-Kleeblatt komplettiert Angelika Kraus, die als Prostituierte und Zekis Ex-Freundin Charlie mit ihrer aufreizenden Körpersprache für die erotischen und komischen Momente sorgt. Um sie herum spielen, tanzen und singen Anastasia Bechthold als Lisis kleine Schwester Laura, Jahn Volpert als Testosteron gesteuerter Rüpel Danger, Lilli Trosien als agile Zeynep und natürlich Leonie Willms, die ihrer Chantal jenen naiv-dümmlichen Charme verleiht, der sich in dem Kultsatz »Heul leise, Chantal!« widerspiegelt. In den Herzen der Zuschauer finden aber auch die übrigen acht Ensemblemitglieder (teilweise in mehreren Rollen) mit ihrem authentischen Spiel ihren Platz. Das verdanken alle auch den stilsicher den charakterbezogenen Kostümen von Heike Korn und dem Bühnenbild von Britta Lammers. Und im Bühenhintergrund gibt Frank Bangert mit seiner fünfköpfigen Live-Band den musikalischen Rahmen von Hip-Hop und Rap über Pop-Balladen bis hin zu typischen Musicalmelodien vor, während Iris Limbarts straffe Inszenierung dem an sich belanglosen Musical einige Reize abgewinnt kann.
Rolf-Ruediger Hamacher / Foto: © Peter Emig
Wartburg Wiesbaden
Termine: 2., 20., 26. April, 19.30 Uhr; 21., 27. April, 18 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de