»Flowers of Life« – Selma Selman in der Schirn

Man umgibt sie mit dem Schlagwort, sie sei gefährlich. Sie zerstückelt Autos, beispielsweise, vorzugsweise Mercedes Benz. Mit Schlagbohrern, Metallgreifern und ähnlich hammerhartem Instrumentarium kennt sie sich seit Kindesbeinen aus. Gefährlich findet sie sich durchaus, aber anders: »Ich bin gefährlich für die Gesellschaft: laut, gebildet, weiblich, und eine Romnja dazu. Ich mache Kunst nicht um zu unterhalten, sondern damit die Zuschauer*innen etwas dabei lernen.« Noch Fragen?
Die schöne Selma Selman ist in 1991 Bihać in Bosnien-Herzegowina geboren und gehört als Romnja einer von Diskriminierung und Vorurteilen besonders betroffenen Minderheit an. Sie stammt buchstäblich vom Schrottplatz, ist Kind eines Altmetallhändlers. Keine Frage, dieser Beruf ist mit Sinti*zze und Rom*nja auf der gesamten Welt identifiziert, es ist einer der üblichen Erwerbsquellen. Die ausrangierten Metallteile, die man dort vorfindet, enthalten aber auch etwas ganz Anderes, Gold zum Beispiel, Platinum, Seltene Erden. Der Schrottplatz ist also auch ein Fundus, und gleichzeitig eine Metapher für die Werthaftigkeit von Industriemüll. Woher kommen diese Materialien – oft durch ausbeuterische, Landschaften zerstörende Prozesse – wohin werden sie überführt? Und dies das Anliegen von Selma Salman: Sie ist ein Medium, das Veränderung bewirken will. Indem sie Bewegung zeigt, Zerstörung, Transformation.
Aus ihrer Biografie heraus entfaltet sie ihre künstlerische Radikalität: als Feministin und Aktivistin möchte sie Rollen infrage stellen, Gewalt, Sexismus, die ehernen Regeln des Patriarchats, Diskriminierung entblößen. Bei ihren Performances schließt sie oft ihre Familie ein, schlachtet mit ihr gemeinsam Autos aus, um an die Edelmetalle zu gelangen, die beim Bau verwendet wurden, oder Motherboards von Computern, in denen Platinum enthalten ist.
Man wird also keine »freundliche« Atmosphäre in der Schirn erwarten dürfen: ohrenbetäubender Maschinenlärm, ein speziell für die Ausstellung entworfenes Parfüm, das an Metallöl erinnert … Der gesamte Ostflügel ist als Installation konzipiert. Den Auftakt macht ein einfach in die Wand geschlagener goldener Nagel, eine winzige Axt aus Platin liegt in einer besonders angestrahlten Vitrine. Beide verraten nichts über ihre brachiale Entstehung: Die kostbaren Metalle wurden in mehrwöchigen Performances aus Hauptplatinen von Computern und aus Autowracks gewonnen.
Den Hauptteil des Saals nehmen vier Mehrschalengreifer ein, die auf den Kopf gestellt tatsächlich wie überdimensionale, sich öffnende und schließende Blütenblätter wirken – sehr brutale allerdings, »The Flowers of Life«. Auf die Innenseiten der Metallblätter hat Selman winzige Augensymbole gemalt, weiß, mit Tränen, andere mit Blutstropfen. Die Augensymbolik bestimmt auch das Video »Crossing the Blue Bridge«, das 2024 entstanden ist und auf zwei Leinwänden zu sehen ist. Die Künstlerin quert dabei die Alija-Izetbegovic-Brücke über die Una und erzählt von einer (ihrer) Mutter, die während einer Waffenruhe im Bosnienkrieg über diese mit Leichen übersäte Brücke laufen musste und mit ihren langen Haaren versuchte, die Augen ihres Kindes zu bedecken.
Von Verwundungen, Verletzungen spricht auch die Serie »Ophelia‘s Awakening«: 14 zarte Buntstiftzeichnungen auf rundem Papier, die im Stil der arte povera an die Wand geheftet sind. Sie zeigen weibliche Gesichter und Körperteile, in Metamorphosen begriffen, schön und doch brutal.
Eine rätselhafte, eine starke Ausstellung.

Susanne Asal / Foto: Ausstellungsansicht Selma Selman. Flowers of Life
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Foto: Norbert Miguletz
Bis 15.September: Di., Fr.–So., 10–19 Uhr; Mi., Do., 10–22 Uhr
www.schirn.de

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