Frau am Drücker: Historisches Museum: Frankfurt-Bilder von Barbara Klemm

Talent: Auf der einen Seite ist es gewiss (gott-)gegeben, auf der anderen aber bedingt durch die Umstände, in denen es sich entfalten kann. Kommt beides glücklich zusammen, dann hat man es nicht selten mit Menschen zu tun, die Außergewöhnliches leisten. Wie die langjährige (1970–2005) FAZ-Redaktionsfotografin Barbara Klemm, deren untrügliches Gefühl für den rechten Moment, in ihrem Auslösefinger zu stecken scheint. Ihr Auge selbst – den Tiefblick – hat die in einer Karlsruher Künstlerfamilie aufgewachsene Bildkomponistin nach eigenem Bekunden im elterlichen Zuhause geschult, war ihr Vater Fritz doch ein Maler und die Mutter Antonia eine Bildhauerin. Und in Museen, wo die angehende Fotografin – ihre Lehre hat sie in Karlsruhe gemacht – darauf achtete, »wie die Maler es machen« – wenn sie in einer Szene komprimiert wirkmächtig eine ganze Geschichte erzählen.
Einige der ausschließlich in Schwarzweiß in der heimischen Dunkelkammer entwickelten Aufnahmen von Barbara Klemm sind weltberühmt geworden, die Begegnung von Willy Brandt und Leonid Breschnew etwa. Und viele werden inzwischen als Ikonen der deutschen Geschichte gehandelt, was eine erste große Retrospektive im Berliner Gropius-Bau schon im Jahr 2013 gewürdigt hat und um die 30 weitere Ausstellungen landesweit belegen. Auch wenn das Gros der Redaktionsaufträge in den Sparten Politik und Kultur sie in die Ferne führte, prägt ihr fotografischer Zugriff auch das Bildgedächtnis der Stadt, die sie sich von 1959 an zum Lebensmittelpunkt machte. Es waren Frankfurt-Bilder, mit denen die zunächst im Labor des Verlags und dann als Freie tätige Fotografin ihre Kollegen auf sich aufmerksam machte.
Im Historischen Museum wird nun die erste Ausstellung mit ausschließlich in Frankfurt entstandenen Bildern von Barbara Klemm gezeigt. 230 Aufnahmen sind es insgesamt – darunter auch etliche, die bisher noch nicht gedruckt oder gezeigt worden sind – in 19 Bereiche unterteilt und eine Zeitspanne von sechs Jahrzehnten überbrückend. Die ältesten sind quasi privat in den frühen Sechzigern entstanden und zeigen Läden und deren Bedienstete aus der Umgebung ihres Arbeitsplatzes im Gallus-Viertel, das jüngste den Hauptbahnhof im abendlichen Licht im März dieses Jahres. Zusammen spiegeln sie mit der kaleidoskopartig ausgebreiteten Geschichte der Stadt auch ihren steten Wandel und manchen schmerzlichen Bedeutungsverlust. Typisch Klemm sind die vielen Straßenszenen, Momentaufnahmen aus dem Arbeitsleben, en passant mit ihrer immer präsenten Handkamera gefasst, Ganz grandios etwa die drei wie zum Tanz mit ihren Schrubbern antretenden Putzfrauen auf der Automobilmesse.
So sehr man der einstigen Hochburg der politischen Bewegung oder dem der U.S. Army zu verdankenden Status einer ersten deutschen Konzert-Adresse auch nachtrauern mag, Klems außergewöhnliche Kunst stellt solcher Art Nostalgie schnell ins Abseits. In Erinnerung an ihre Anfänge in einer noch von den Kriegsschäden gezeichneten grauen Stadt sieht die nun 83 Jahre alte Künstlerin sehr viel Positives insbesondere in der Stadtarchitektur. Die neue Altstadt gehört nicht dazu. Ein Großformat zeigt mit dem Römer im Rücken den Frankfurter Römerberg mit dem Justitia-Brunnen und einem freien Blick auf den mächtigen Dom. Das Klemm’sche Moment ist das Spalier, das die von einer Frau mit Kinderwagen angeführten Passanten für ihr Stadtwahrzeichen bilden, ihre von der Sonne über Sachsenhausen geworfenen Schattenrisse wirken dabei wie eine Signatur.

Lorenz Gatt / Foto: Demonstration gegen den Vietnamkrieg, Kaiserstraße, 1970
© Barbara Klemm
Bis 1. April 2024: Di.–So., 11–18 Uhr
historisches-museum-frankfurt.de

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