… wofür? – nichts sehen? – wollen? Oder nicht gesehen werden? Um beides geht es in dem Gespräch zwischen erwachsener Tochter und altem hilfsbedürftigen Vater – die Mutter ist verstorben. Aber nicht der übliche Generationenkonflikt steht im Vordergrund – also pubertierende Kinder und erwachsenen Elternteile à la Ödipus, sondern die sehr unterschiedlichen Entwicklungen der Lebenskonzepte dieser beiden doch eng miteinander verbunden Erwachsenen – und der ebenfalls recht unterschiedlichen Entwicklung im Verhältnis zueinander. Sie versuchen, die gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten, vor einem Hintergrund, der – wie die Bühne – dunkler nicht sein könnte.
Und dann gehen auch noch in dieser hoch abgesicherten Wohnanlage – wir befinden uns vielleicht in Südafrika in einer ehemaligen Kolonie der Niederlande – die Sicherheitsrollos runter, sodass es tatsächlich zunächst kein Entkommen mehr aus dieser Zweiersituation gibt. Nicht nur der Raum ist ab sofort dunkel. Die Auseinandersetzung kann beginnen.
Die Tochter (Bettina Kaminski), nicht mehr ganz blond und keinesfalls glattfrisiert, ist nicht unbedingt scharf darauf, die Pflege für den Vater (Axel Gottschick) zu übernehmen, der völlig erblinden wird. Und der – zu ihrem Leidwesen und völligem Unverständnis – die schon langjährige Haushaltshilfe Lizzy ohne ersichtlichen Grund rausgeschmissen hat. Jetzt sei die Tochter dran, bevor er sterben wird, meint er: Tochter Helen, mittlerweile Anwältin für unterprivilegierte hauptsächlich schwarze Jugendliche, verheiratet mit einem preisgekrönten dunkelhäutigen Freiheitskämpfer.
Und jetzt beginnt die Auseinandersetzung über das bisher gelebte Leben. Beide müssen zugeben, nicht immer alles mit reinem Gewissen und voll und ganz dahinterstehend gelebt zu haben. Der Brunnenbauer auf der einen Seite – Erfindung des Vaters zum Wohle der Gemeinschaft – und der als persönlicher Verrat empfundenen Abkehr von dieser privilegierten Welt durch die Tochter. Deren Verbindung und zunächst verheimlichte Ehe mit dem erfolgreichen Universitätsprofessor Lennard, der allerdings ein Schwarzer ist, mit Wissen und Billigung der Mutter, für ihn eine weitere neue – die größte – Kränkung. Und jetzt: eine Form von Versöhnung angesichts des Todes? Nach einer Auseinandersetzung über das gemeinsam erlebte Leben?
Es wird wieder hell, die Rollos gehen hoch – gibt es Hoffnung auf Versöhnung? Privat und gesellschaftlich? Ohne Wenn und Aber …?
Ein intensiver fesselnder Dialog, erzählt von der niederländischen Autorin Lot Vekemans, deren Ehegeschichte »Gift« hier schon zu sehen war. Auf der schwarzen mehrstufigen Bühne (Linnan Zhang) zwei schwarze Stühle, eine kleine Theke am Rand, treffen sich Vater und Tochter – nicht ohne Schwierigkeiten (Sturz des Vaters …).
Es ist nicht einfach, ein reines Dialogstück für fast zwei Stunden packend zu inszenieren. Doch es gelingt Hausregisseur Reinhard Hinzpeter mit Bravour.
Freies Schauspiel Ensemble: »Blind« von Lot Vekemans
